Roe Rainrunner

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11 | Jobs für Menschen mit dissoziativer Persönlickeitsstörung

5 Kommentare

Ich arbeite bereits seit vielen Jahren in meinem Beruf.
Manche bezeichnen mich als „Hotliner“ oder „Supporter“. Andere nennen mich „Technischer Kundendienst“. Wiederum andere einfach nur „Callgirl“.

Doch was passiert eigentlich, bevor man sich mit mir unterhalten darf?
Ich nenne es: „Die fünf sich wiederholenden Phasen meines Arbeitsalltags“ oder „Die Zeit, in der ich meine Nägel maniküre“.

Phase 1: Das Telefon fängt an, mit nervtötendem Sound zu klingeln.
Natürlich kenne ich das Telefon-Menü in- und auswendig. Das passiert auf der Suche nach allen Stummschalt-Möglichkeiten zwangsweise. Somit wäre ich natürlich in der Lage, den Klingelton zu ändern. Tue ich aber nicht.
Warum? Ganz einfach: Je nervtötender und lauter der Klingelton, desto mehr Kollegen werden im Umkreis meines Büros darauf aufmerksam. Nur so wirke ich wie eine wichtige Arbeitskraft.
Und nein, mein Highscore im Tower-Defense-Game zählt nicht. Das ließ der Boss schon im letzten Gehaltsgespräch nicht gelten…
In dem Moment, wo das Telefon mich mit seinem Gebimmel im Wachkoma unterbricht, mache ich einen Gesichtsausdruck, als hätte man mir gerade mitgeteilt, dass ich einen Tripper habe.

Phase 2: Das Telefon klingelt weiter.
Also erstmal den Unmut über diese Störung laut kundtun. Und nein, ich meine hier keine Kindergarten-Beleidigungen á la „Du Kuuuh“. Nein, wir sprechen da eher von Beleidigungen auf Niveau eines Seemanns, der nur zweimal im Jahr an Land geht und sein gesamtes Geld einer Nutte gegeben hat, nur um dann im entscheidenden Moment festzustellen zu müssen, dass sie ein Kerl ist…
„DU DUMMES ABGEFUCKTES STÜCK NAZI-SCHEISSE! DU WEISST GENAU, DASS ICH SEIT ZWEI TAGEN VERSUCHE, ENDLICH AUF LEVEL 58 ZU KOMMEN! WAS WILLST DU DENN JETZT VON MIR??“

Phase 3: Das Telefon klingelt weiter.
Also erstmal das Tower-Defense-Game pausieren und mich dem Schicksal langsam ergeben. Wo war denn nochmal das Headset abgeblieben?
Schon toll, das heutzutage alles schnurlos ist. Ich fand die Schnüre aber eigentlich sehr praktisch, weil man entweder am Kabel ziehen oder diesem folgen konnte und so nie etwas verloren ging.
Natürlich könnte ich auch zum Telefonhörer greifen, statt das Headset zu suchen. Amseln könnten auch zu Fuß gehen, statt zu fliegen. Pfarrer könnte auch in Jogginghosen predigen, statt im Talar. Und Kinder könnten auch stillsitzen, statt ständig schreiend 40cm über dem Erdboden zu kreisen.TUN SIE ABER NICHT!
Ich wühle also semi-motiviert und dank der herabgefahrenen Jalousien halbblind über den Schreibtisch. Meine Finger fahren durch vertrocknete Krümel, zerknitterte Papierflieger und zu Stichwaffen umgeformten Büroklammern. Den Blick dabei stets fest auf den Monitor gerichtet: Es könnte ja jemand bei Facebook seinen Status aktualisieren!

Phase 4: Das Telefon klingelt immer noch.
Ich habe das Headset endlich gefunden. Am Mikrofon kleben Reste vom Frühstücks-Ei und der linke Ohr-Puschel ist mit Kaffee getränkt, aber was soll’s. Von der Toilette neben dem Pausenraum ist man ja schließlich auch nichts besseres gewohnt.

Phase 5: Die Königsdisziplin
Ich setze das Headset auf und drehe das Mikrofon zurecht. „WIESO HABT IHR HÄSSLICHEN GROTTENOLME EIGENTLICH ZEIT, BEI MIR ANZURUFEN? WIR VERTREIBEN HIER SCHLIESSLICH BÜRO-SOFTWARE UND MIT GENAU DER SOLLTET IHR JETZT GERADE ARBEITEN! DAVON ABGESEHEN HABT IHR KACKNASEN GARANTIERT NUR WIEDER DIE DÜMMSTEN FRAGEN DER WELT AUF LAGER, UM MIR MEINE NERVEN ENDGÜLTIG“ (abheben) „Einen wunderschönen guten Tag, meine Name ist [versteht ihr eh immer falsch], was kann ich für Sie tun? (träller)“ … „Ja, aber gerne doch. Hätten Sie vielleicht zufällig Ihre Kundennunner parat? (flöt)“ … „Aber sicher warte ich, bis Sie diese gesucht haben (sing)“ (Stummtaste an) „NUR DAMIT DU RANZIGE FILZLAUS WIEDER TAGELANG UNTER DEM BETT IN DER STINKENDEN PFÜTZE NACH DEN RECHNUNGSUNTERLAGEN SUCHEN KANNST! WAS ZUM HENKER GLAUBT IHR KUNDEN EIGENTLICH, WORAN WIR EUCH IDENTIFZIEREN? SIND WIR ROBOTER? HABEN WIR STIMMERKENNUNG?“ (Stummtaste aus) „Aber gerne können Sie mir Ihre Kundennummer nun mitteilen.“ … „Starten Sie doch einmal die Software bitte neu.“ … (Stummtaste an) „WAS HEISST DU BIST NICHT AM COMPUTER? DU HAST EIN PROBLEM MIT COMPUTER-SOFTWARE UND BIST NICHT AM COMPUTER? HEILIGES KANONENROHR!! (Stummtaste aus) „Aber gerne warte ich, während Sie mich ins andere Zimmer verbinden (träller)“

„Es freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte (singsang). Einen wunderschönen Nachmittag noch (flöt)“ (auflegen) „DU DÄMLICHES STÜCK DRECK!“

Aber meine Fingernägel sehen toll aus!

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

5 Kommentare zu “11 | Jobs für Menschen mit dissoziativer Persönlickeitsstörung

  1. Ich arbeite zwar in keinem Beruf, wo ich viel telefonieren muss, und würde so einen Beruf auch nicht wählen. Weil mir Telefonate schlicht sehr unangenehm sind.

    Aber die Tipps sind dennoch für den privatgebrauch nicht schlecht.

    Ich habe zum Beispiel das Telefon generell stumm, damit ich es besser ignorieren kann. 😉
    Aber um auch mal dran zu gehen, wäre es sicher nicht schlecht, das Ding einfach mal ganz laut zu lassen!

    Und während des Gesprächs die fiesen, aber doch witzigen Gedanken könnten gegen die Unsicherheit helfen. Dagegen hilfreich sein, dass ich nicht verstumme. 😉

    Insofern, ein hilfreicher Beitrag, danke. 😉

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  2. Ich hasse telefonieren. Aus Welchem Grund auch immer.
    Gut geschrieben dein Text 🙂 hehe

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  3. Sehr gut! – Zum Folgen gut! Und herzlichen Dank für die Art der Verfolgung, die du meinem Blog zugedacht hast! 😉

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  4. Das erinnert mich an meine Tochter 🙂
    Sie ist fast 25 und arbeitet im Kundenservice eines großen Technik-Ladens.
    Sie erzählt ab und zu auch solche Geschichten….

    Ich selbst hatte mich auch mal in einem Callcenter versucht.
    Obwohl ich telefonieren hasse.
    Aber ich hab das auch nicht ausgehalten.
    Es ist so grausam, wenn man das Gefühl hat, Menschen Ohr-al zu vergewaltigen.
    Das war outbound – nie wieder.

    Ich freue mich, dass Du mich entdeckt hattest – und somit ich dich 🙂
    Es macht Freude, dich zu lesen.

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    • Ich finde Callcenter allgemein furchtbar. Miese Arbeitszeiten, miese Bezahlung und teilweise unerreichbare „Zahlen“, die du ständig erfüllen musst. Ich bin froh, dass mein jetziger Arbeitgeber anders ist.

      Outbound ist in der Tat noch ein gutes Stück übler. Ich habe immer nur Inbound arbeiten müssen.
      Allerdings haben mir meine Erfahrungen geholfen, Menschen die in Outbound arbeiten und mich anrufen, nicht abfällig zu behandeln. Denn Tatsache ist, „machen wollen“ tun die diesen Job auch nicht. Und wenn sie was besseres hätten, würden sie dort auch nicht sitzen. Also muss man sie nicht behandeln, als würden sie diesen Job mit Absicht machen, um „Leute zu traktieren“.
      Gleiches gilt auch für Fahrkartenkontrolleure, Hausierer, etc.

      Ich finde es auch schön, dich und deine Geschichte gefunden zu haben. Ist immer interessant, Einblicke in die Leben anderer Menschen zu erhalten. Danke 🙂

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