Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

17 | Legebatterie

20 Kommentare

Auch ich arbeite in einer Firma, die auf Großraumbüros setzt.
Alles wird eingespart, heutzutage eben auch die Wände.

Ich sitze im Großraumbüro in der Mitte. In der Mitte zwischen Glasfenster-Front und Säulengang, in der Mitte der Tisch-Reihen, in der Mitte zwischen Kollege A und B, in der Mitte zwischen Toilette und Eingangstür.
Unser Sicherheitsbeauftragter nennt das „Versperrung von Fluchtwegen“. Ich nenne es eine geschickte Taktik unserer Geschäftsführung, die Mitarbeiter daran zu hindern, ihren Weg nach Hause zu finden, weswegen sie einfach für immer in der Firma bleiben.

Großraumbüro. Und diese Trennwände! Habt ihr die schonmal gesehen?
Eine Trennwand links, eine Trennwand rechts, eine Trennwand hinter mir, eine Trennwand vor mir. Fehlt eigentlich nur noch eine über mir und ich hätte die perfekte Legebatterie-Atmosphäre.
Alle reden von Tierschutz und Freiheit für die Hühner. Was ist mit mir?! Hab ich keine Rechte? Grundgesetz! Gleichbehandlung!

Ja, die Trennwände. Immer schön, wenn dich dein Personaler anruft (persönliche Gespräche sind out) und nach deinen Zukunftsplänen fragt: „Was sehen Sie, wenn Sie nach vorne blicken?“ Ähm, eine graue Plastik-Wand mit genoppter Struktur für optimalen Schallschutz?

Man hat übrigens festgestellt, dass Zirkusbären, die jahrelang in viel zu kleinen Käfigen gehalten und dann freigelassen wurden, sich trotzdem nicht vom Fleck bewegten.
Ich kann dieses Verhalten absolut bestätigen: Mein Wohnzimmer ist 20qm groß, der Teppich aber nur auf 1qm abgenutzt. Ich bewege mich nur dort, da ich soviel Platz von meinem Arbeitsplatz einfach nicht gewohnt bin!

Und die Luft im Großraumbüro.
Frische Luft ist etwas, auf das ihr einem Großraumbüro-Mitarbeiter Steuern berechnen könntet.
Natürlich gibt es Fenster und natürlich könnte man diese auch öffnen.
Warum es trotzdem keiner tut? Ganz einfach: So ein Großraumbüro beherbergt 50 Menschen aller Altersklassen, beginnend beim 15-Jährigen Praktikanten bis hin zum 86-Jährigen Rentner in Aushilfe. Sobald du anfängst zu schwitzen und dir verzweifelt deinen Weg zum Fenster bahnst, kommt Opa Otto schon mit seiner Gehhilfe um die Ecke und brüllt: „ES IST KALT, VERDAMMT NOCHMAL! SOLL ICH VIELLEICHT ERFRIEREN?!?!“ Ja, ne, is klar. Im 2. Weltkrieg bei -30°C in Russland gekämpft, aber bei 25°C im Schatten erstmal die Strickweste zuknöpfen.

Optimale Arbeitsbedingungen sind generell ein Problem in der Interessensgemenischaft Legebatterie. Dem einen ist’s zu kalt, dem anderen zu warm, dem nächsten scheint die Sonne ins Gesicht, wohingegen der andere seinen Bildschirm kaum noch erkennen kann.
Fenster werden aufgerissen und zugeschlagen, Jalousien werden in einem Fort auf- und abgefahren, Rufe nach Freiheit und Gehaltserhöhung (oder überhaupt mal einem Gehalt) werden laut, es ist ein heilloses Chaos!

Natürlich rennt unser Team-Manager, wie es neudeutsch heißt (für die Nicht-Englischsprachler: Das ist der Typ, der mehr verdient als ihr, obwohl er weniger kann), herum, und brüllt was von „Klimaanlage… Fenster zu… sofort“.
Klimaanlage… Ja, es gibt ein Schaltpanel an der Wand und dieses hat auch Knöpfe. Aber egal was man drückt oder einstellt, das Raumklima ändert sich dadurch überhaupt nicht.
Einige Verschwörungstheoretiker behaupten, es handele sich lediglich um ein aufgemaltes Steuerpanel, welches einen Placebo-Effekt auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter haben soll.

Nun dürfen wir die Fenster gar nicht mehr aufmachen. Sogar Opa Otto wäre dafür.
Also werden die Miefquirle, auch bekannt als „Ventilatoren“ aufgebaut (was verbraucht eigentlich mehr Strom: Eine ganze Windkraftanlage an Ventilatoren oder eine Klimaanlage, bei der mal einer 10 Minuten das Fenster öffnet?).
Zack, fliegen die ersten Mitarbeiter über die Stromkabel und man hört den Ersthelfer fluchen, weil er den Verbandskasten von 1972 nun doch noch aus seiner Verpackung rauspuhlen muss. Er beschimpft uns als Weicheier und murmelt was von „Damals im Krieg sind wir ja auch nicht wegen jeder kleinen Fraktur zum Arzt gelaufen!“

Notfälle und Massenpaniken sind in Großraumbüros eine nicht zu unterschätzende Bedrohung.
Unser Nachbargebäude, welches nur einen Steinwurf entfernt ist, teilt sich mit unserem Gebäude die Alarmanlage.
Macht prinzipiell auch Sinn. Nicht, dass das Feuer vom einen Gebäude auf das andere übergreift oder die Mitarbeiter von Gebäude A beim Ausüben ihrer Raucherpause den Feuerwehrleuten beim Löschen von Gebäude B im Weg stehen. Oder aufgrund ihrer Rauchwölkchen gar selbst gelöscht werden.

So kam es, dass eines schönen Tages eine E-Mail in meinem Freeware-Pseudo-Mail-Programm ankam (jaja, ich weiß. Erklärt mal eurem Kunden, wieso ihr die doofe docx-Datei aus Office 2010 nicht öffnen könnt und antwortet dann auf ein erstauntes „Aber die sind doch auch zu Office 2003 und 2007 kompatibel“ mit „Wir haben gar kein Office!“ Ich arbeite übrigens für eine Software-Firma…).
Auf jedenfall besagte die eingegangene E-Mail, dass im Nachbargebäude ein Probe-Feueralarm durchgeführt werden müsse, wodurch es bei uns natürlich auch tönen würde, es gäbe jedoch keinen Grund zur Beunruhigung.

Nun sollte noch erwähnt sein, dass der Feueralarm so konzipiert worden war, dass man selbst auf dem Klo mit eingestöpseltem Smartphone nahezu taub wurde.
Das war weniger ein Alarm-Signal als mehr eine Taktik zur gezielten Vertreibung.

Am besagten Probealarm-Tag riss also irgendwann ein 200db lautes Sirenen-Geheul jeden meiner Kollegen aus dem Schlaf. Ich selbst hatte einen Kunden am Telefon, was ja hin und wieder vorkommen soll.
Nachdem ich das Gespräch mit meinem Kunden im hysterischen Brüllton fortführte, fragte er irgendwann doch aufgeregt: „Wollen Sie nicht mal rausgehen? Scheint ja ernst zu sein?“ Ich wiegelte ab und erklärte ihm den Tatbestand.

Eigentlich dumm von mir. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich als gewillter Mitarbeiter alles für meine Kunden tue und dass der Käptain mit seinem Schiff untergeh… äh, dass der Supporter erst das Großraumbüro verlässt, wenn auch der letzte Kunde eine Lösung für sein Problem hat. Und dass es davon abgesehen gar nicht so schlimm wäre, denn mein Schreibtisch stünde zwar schon in Flammen, solange ich aber den Monitor noch halbwegs erkennen könnte, wäre alles gar nicht so dramatisch.
Alles für die Firma, alles für den Job, unser Leben für den Kunden!

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

20 Kommentare zu “17 | Legebatterie

  1. Ich kenne diese Art von Büros aus meiner Zeit bei einem US Unternehmen und finde die superfurchtbar. Das sollte ja angeblich alles mögliche positiv fördern, aber bei mir waren es nur Mordgedanken, weil ich ständig genervt war 😉

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    • Eben. Der ständige Lärmpegel ist ein Stressfaktor. Ob sich die Unternehmen dann also wirklich etwas sparen, wenn die Leute andererseits so unkonzentriert sind, dass sie Fehler begehen, die sicherlich viel Geld kosten? Riecht verdächtig nach „Ich will sparen und denke von hier bis dahin, wo ich guggen kann“ 😉

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  2. Bei uns herrscht im Großraumbüro (in dem ich zum Glück nicht sitze) zwar keinerlei Legebatterien-Atmospähre, dafür gibt es keinerlei Privatspäre. Es ähnelt einem Irrgarten, in dem sich gelegentliche Besucher gerne verlaufen, weil viele Trennwände aus Glas sind. Die Klimaanlage sorgt für eine ständige frische Brise. Gelegentlich scheint es dort ausgestorben zu sein, nur in den (gläsernen) Einzelparzellen der ganz Wichtigen ist Leben (weil die von umherwehenden Grippe- oder Erkältungsviren verschont bleiben)…
    Ich hab’s so gut… 😉

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  3. Ich hab’s so gut … bei uns nur zweier oder einzeln, ein größeres mit Teilzeit oder tageweise (externe und Studenten), das passt.
    Früher in alter Firma drohte immer das Gespenst Umzug und dann Großraum (weil AmiSch***) und die armen Kollegen am Hauptsitz in F taten mir immer nur leid in ihrem Krach. Einer ist mal aus dem Fenster gesprungen. 7.Stock

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    • Ich freu mich ja eigentlich immer über Kommentare unter Beiträgen.
      Wenn ich mich über den hier jetzt freue, heißt das, ich freue mich über Selbstmord? Oo
      Weih oh weih…

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      • Nee, musst Du nicht, hab auch überlegt ob ich es überhaupt schreiben soll. War ja wirklich keine tolle Sache damals. Aber es lag wohl nicht (nur) am Betriebsklima sondern es war ein armer Junge der so oder so nicht mit sich und dem Leben klar kam. Das hätte man vielleicht merken können/sollen oder auch nicht, hinterher ist man immer schlauer und erst mal natürlich mega geschockt!

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        • Und dennoch halte ich es für auffällig, wenn ein Selbstmord am Arbeitsplatz ausgeführt wird…

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          • Lag ggf. einfach an der Örtlichkeit? Hochhaus? Müßig, zumal ich nicht mehr bei dem Verein bin. Und derzeit in Flachdachbungalow. Aber lassen wir dieses ungute Gefühle heraufbeschwörende Thema …
            Jedenfalls bin ich heilfroh keine Großraumnutzerin zu sein/werden und wenn es sich einrichten läßt bei den bei uns üblichen offenen Türen, als Hackerin, auch nicht unmittelbar neben (Telefon-)Supportern 😉

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  4. Wäre nichts für mich. Selbst gehöre ich einer aussterbenden Spezies an, ich arbeite in einer Werkstatt. Sehr laut, schlechte Luft und künstliches Licht. Ein Vorteil ist, ich unterliege nicht irgend einem Verhaltens-Kodex, bin nur meinen eigenen Wert-Vorstellungen verpflichtet. Dafür kennt man mich, in einem ansonsten sehr gut geratenen Zwischenzeugnis vor vielen Jahren stand kein einziger Satz zum Sozial-Verhalten. Offensichtlich habe ich keines, in ihren Augen 🙂

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  5. Herrlich gelacht wieder bei Deinen Zeilen… 😀

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  6. Mein Beileid!
    Ich habe auch einmal in einem Großraumbüro gearbeitet, allerdings gab es keine Trennwände. Eine der in Österreich zahlreichen Sozialversicherungsanstalen war vom Rechnungshof gezwungen worden, Teile ihrer Bürofläche zu vermieten. Dadurch musste die Belegschaft auf 20 Personen pro Büro mit etwa 1000qm Fläche „zusammengepfercht“ werden. Die Firma, bei der ich damals arbeitete, brachte gleich mal 80 Mitarbeiter auf der gleichen Fläche unter, und es hieß „verdichtet wird nicht“. Was das bedeutet, kann man sich denken, als ich das Gebäude verließ, war die Belegschaft auf 100 Mitarbeiter angewachsen, jeder kleine Druckertisch wurde als Schreibtisch genutzt.
    Um den Lärmpegel zu dämpfen, erträglich zu halten oder was auch immer, waren besonders schlaue Menschen auf die Idee gekommen, rosa Rauschen einzuspielen. Wenn dieses um 17:00 zusammen mit der Klimaanlage abgestellt wurde, ging ein Seufzen der Erleichterung durch den gesamten Raum.
    Die Ruheräume mit Liegesesseln durften von uns nicht aufgesucht werden, das wurde von der Firmenleitung verboten. Die Mitarbeiter der SVA durften sich natürlich von ihrem zweifellos anstrengenden Arbeitsalltag noch während ihrer Dienstzeit erholen. Da freut es einem doch gleich doppelt, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, wenn man weiß, dass sie für das Wohlbefinden der dort Beschäftigen gut angelegt werden.

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    • Das Schlimme ist, dass es Gesetze gibt, die genau besagen, wie ein Arbeitsplatz auszusehen hat. Wir wissen aber alle, wie das in der Realität abläuft: Mitarbeiter beschwert sich, Chef antwortet „Wenn’s dir nicht passt, such dir halt einen anderen Job!“

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  7. Willkommen im Club!
    Bei uns frieren nur die Mädels, selbst bei 23°.

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  8. Hat dies auf Der Stefmaster rebloggt und kommentierte:
    Gedanken aus dem Großraumbüro. Kann ich nur all zu gut nachempfinden…

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