Roe Rainrunner

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18 | Die wahre Zielgruppe der Spielzeug-Industrie

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Es ist soweit, Geschenke-Einkauf-Zeit!
Die Werbeprospekte strotzen nur so vor quietschbuntem Spielzeug, mit deren Erwerb man den lieben Kleinen auf materialistische Art seine Zuneigung zeigen kann.

Ich sortierte gerade besagte Werbeprospekte aus unserer Lokalzeitung heraus (eigentlich ist es eher andersherum, ich picke die Lokalzeitung aus den Werbeprospekten…), als mir in einem jener knalligen Werbezettel das Wort „Knetsand“ entgegenprangte.
Nun bin ich ja eigentlich noch nicht so alt. Da ich aber keine Kinder habe, bin ich, was das Thema Spielzeug angeht, sicherlich nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Was also war Knetsand?

Mit Knete habe ich als Kind gespielt. Buntes, weich-klebriges Zeug, welches sich nach genau 23 Tagen zu einer einzigen Farbe vermischt hatte, nämlich bundeswehrgrün.
Des Weiteren halbierte sich mit jedem Nutzungstag die Gesamtmasse. Dieser Umstand fiel meist dann auf, wenn Muttern laut schimpfend auf den einmassierten Fleck im Teppich zeigte.

Sand kenne ich auch. Das war das gelbliche Zeug mit den dunkelbraunen Brocken, bei denen Mutti immer brüllte „Nicht die Katzenscheiße anfassäään!“
In meiner Generation galt das Verspeisen einer Handvoll Sand aus einem öffentlichen Sandkasten noch als wichtige Maßnahme zum Impfschutz.

Aber Knetsand?
Ich wollte keine 49,99 EUR ausgeben müssen, nur um dieses Geheimnis lüften zu können. Also erfreute ich mich am modernen Leben und suchte auf Youtube danach.
Meine Erwartungen wurden erfüllt und so startete ein Video, das einen Vater mit seiner kleinen Tochter zeigte. Die Kleine machte sich daran, den Knetsand in eine Schale zu füllen, woraufhin der Vater sie mit „Ich mach das mal“ wegstubste. Als sie endlich die Förmchen in den Sand drücken wollte, kommentierte der Mann nur „Du machst das völlig falsch, lass mich mal!“
Die weiteren 11:58 Minuten des Videos zeigten einen Mann Ende 30, der mit glücklich erröteten Bäckchen bunten Knetsand formt, während seine vielleicht Fünfjährige Tochter daneben sitzt und geduldig wartet, bis Papa endlich fertig ist.

In dem Moment traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Waren Kinder nur vorgeschobene Ausreden, damit Erwachsene sich ruhigen Gewissens mit rosa Glitzer-Spielzeug vergnügen konnten?

Ich erinnere mich noch sehr gut an das Weihnachten, an dem ich mit großen Augen ein graues Plastikdings unter dem Baum fand, auf dem „Gameboy“ stand. Etwas ähnliches hatte ich bis dahin noch nie besessen!
Dennoch frage ich mich heute, ob meine Eltern nicht auch Hintergedanken bei diesem sehr großzügigen Geschenk hatten. Denn im Gegensatz zu modernen Eltern, die verzweifelt versuchen, ihre Kinder vom Computer loszueisen, besaßen wir so einen Kram ja noch gar nicht. Ich spielte hauptsächlich draußen – solange das Wetter denn mitmachte. Sobald es aber regnete oder kalt wurde, schlurfte ich das Wohnzimmer auf und ab und brüllte „Mamaaa! Mir ist langweiliiig!“ – „Lies doch was.“ – „Alle Bücher sind ausgelesen!“ – „Mal ein Bild.“ – „Die Filzstifte sind alle eingetrocknet!“ – „Bastel etwas.“ – „Boah, was denn?“
Ich fürchte, meine Eltern hatten mir den schönen Gameboy nur geschenkt, damit ich in der kalten Jahreszeit meine Klappe hielt!

Allerdings gab es da auch noch etwas anderes…
Eines schönen Tages kam ich von der Schule nach Hause und flitzte die Treppe hinauf. Ich öffnete die Küchentür, in freudiger Erwartung meine Mutter zu begrüßen, die aufgrund einer Erkältung von der Arbeit krankgemeldet war und daher das Haus hütete.
Doch sie war nirgends zu sehen. Schlief sie vielleicht?
Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer und hörte leise die Melodie einer ganzen Generation: „Dumm du di dumm du di dumm…“ Tetris! Hatte ich etwa den Gameboy angelassen?
Doch dann hörte ich: „Ich brauch endlich ein langes Stäbchen, du blödes Mistteil!“
Ich trabte um das Sofa herum und fand meine Mutter mit dem Rücken am Heizkörper und einer Decke über der Schulter, die Augen starr auf das Gameboy-Display gerichtet.
„Ähm… Ist das mein Gameboy?“ – „Stör mich jetzt nicht, ich bin schon in Level 12!“

Ähnliches passierte auch an dem Weihnachten, zu dem mir meine Eltern eine Autorennbahn schenkten. Eine riesige schwarze Rennstrecke mit stromleitenden Metall-Bahnen, auf die Autos gesetzt und mit pistolenartigen Steuer-Elementen bedient wurden.
Als ich das Geschenk auspackte, mussten meine Eltern die riesige Box für mich festhalten, weil sie größer war als ich selbst. Mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als ich sah, was mir da geschenkt worden war!
Natürlich verbrachte ich ab diesem Zeitpunkt etliche Nachmittage damit, die kleinen Autos durch die Loopings und Kurven flitzen zu lassen, immer auf der Hut vor dem Geschwindigkeitsrausch und den daraus resultierenden Autos, die wie Geschosse durch das Wohnzimmer flogen.

Eines Abends konnte ich nicht einschlafen. Also schlurfte ich runter ins Wohnzimmer, um mich über diesen Umstand bei meinen Eltern zu beschweren. Als Kind tut man sowas eben.
Ich betrat das Wohnzimmer und hörte das typische Zischen der kleinen Rennautos auf den Metall-Leitern, gefolgt von „Du wirst mich niemals schlagen! Ich krieg dich, du Sau!“
„Mama? Papa? Spielt ihr da etwa mit meiner Autorennbahn?“ – „Öh…“

Ich glaube, mittlerweile verstehe ich sehr gut, was Eltern damit meinen, wenn sie sagen: „Beim Schenken ist es der Gedanke, der zählt!“

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

13 Kommentare zu “18 | Die wahre Zielgruppe der Spielzeug-Industrie

  1. Den Knetsand kenne ich zwar schon, kann mich aber beherrschen. Den gibt es in ähnlicher Form auch in einer Art Luftballongummi für gestresste Manager, die dann daran herumkneten können (kein Witz). Weihnachten ist beim Schenken eine komplizierte Zeit und manch ein Erwachsener holt sich eher die eigene unerfüllte Kindheit ins Haus, als über das richtige Spielzeug nachzudenken, oder sich bewußt zu machen wie viele Kinder für diese Spielzeuge in anderen Ländern schuften müssen, ohne jemals so eines besitzen zu können.

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    • Oh weih, diese Luftballon-Teile kenne ich tatsächlich. Meiner ist beim stress-kneten zerplatzt. Es kam weißes Pulver heraus und den Rest des Tages sah ich aus, als hätte ich einen Unfall beim Koksen gehabt.
      So fühlt sich der Knetsand an? Da bin ich ja fast enttäuscht 😉

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  2. So ist es: Unsere Eltern haben uns den Gameboy nur geschenkt, weil sie selber Tetris zocken wollten. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass wenn man einem Kind Lego Technik schenkt, am besten auch ein eigenes für den Vater hat, damit das Kind am Ende auch selbst was zusammenbauen kann 🙂

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  3. Deine humorvolle Art zu schreiben gefällt mir. Danke!

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  4. Also, ich muss Dir recht geben…und bin dieses Jahr total unglücklich, die 2 wünschen sich Geld *heul 😉

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