Roe Rainrunner

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26 | Perfektionismus und andere Makel

27 Kommentare

Ich würde mich als ziemlichen Perfektionisten bezeichnen.
Ich gehe dabei soweit, dass wenn ich eine Aufgabe nicht perfekt erledigen könnte, ich erst gar nicht damit anfange…

Dabei sah es in meiner Kindheit eher danach aus, als würde ich mal ziemlich nachlässig werden.
In der Grundschule durften wir des Öfteren basteln. Leider war ich mit der Schere nie sehr geschickt, sodass spitze Hasenohren eher rund wurden und generell Rundes eher eckig. Meine Lehrerin stemmte stets die Hände in die Hüften und schüttelte verzweifelt den Kopf, während meine Mutter fauchte: „Kannst du das denn nicht mal ordentlich machen?“ Ich selbst war jahrelang der festen Überzeugung, wer Hasenohren abrundet, wird nie das Gymnasium besuchen dürfen.

Mein Vater sah das etwas lockerer. Er hatte mir irgendwann zu Weihnachten mal einen Sägekasten für Kinder geschenkt (der Vorteil, wenn man ein Einzelkind ist: Man wird nicht nach Junge/Mädchen erzogen, sondern als „Kind“).
Ich ruderte also glücklich mit der kleinen Säge an einem Brett herum, das später die Form eines Fisches annehmen sollte. Als ich mein Werk mit „Fertig!“ titulierte und mein Vater den „Fisch“ mehrfach um 90° drehte und immer noch nicht so recht wusste, was er sich da eigentlich ansah, lächelte er mich stolz an, reichte mir das Sandpapier und murmelte: „Jetzt lernen wir schleifen…“

Und heute? Heute schneide ich penibel meine Schnürsenkel auf dieselbe Länge. Selbst wenn das bedeutet, dass zum Schluss fast keine Schnürsenkel mehr da sind.
Ich kann es auch nicht ertragen, wenn Stühle am Tisch nicht absolut gerade ausgerichtet sind.
Mein Perfektionsmus geht sogar so weit, dass ich ungern koche, weil ich dann ja den Herd versauen könnte!

Dennoch gibt es Situationen, die mir bewusst machen, dass ich so gar nicht perfekt bin…
Ich bin versehentlich auf den neuesten Trendzug aufgesprungen und habe mir ein „Malbuch für Erwachsene“ gekauft. Ich finde es unglaublich entspannend, irgendwas mit Filzstiften vollzuschmieren, während ich nebenher Musik höre oder einen Film schaue. Allerdings versetzt es mich auch in die Grundschulzeit zurück, denn wirklich filigran arbeite ich bei so etwas heute noch nicht: Ich male selbstbewusst und großspurig über alle Linien hinaus, die mir das Malbuch vorgibt. Freunde kommentierten schon „Meine vierjährige Nichte malt aber schöner…“ Na und? Hat vielleicht schonmal jemand Picasso gesagt, dass seine Bilder komisch aussehen?

Kürzlich stellten meine Kollegen fest, dass ich unterschiedlich-farbige Socken trug. Ich kommentierte, dass es sich hierbei um volle Abschicht handelte und auch auf meinen Perfektionismus zurückzuführen wäre: Ich hatte morgens schwarze Wollsocken angehabt und wollte mich auf den Weg zur Arbeit machen. Ich zog meinen linken Schuh an, schnürte ihn zu und wollte mich danach dem rechten Schuh widmen. Leider musste ich feststellen, dass die rechte Socke ein riesiges Loch trug. Nicht nur, dass man nicht mit löchrigen Socken rumläuft, das Loch war auch noch so groß, dass mein Fuß wohl nicht warmgehalten worden wäre.
Also hoppste ich einbeinig zum Schrank und suchte eine neue Socke. Leider fand ich nur eine türkisfarbene mit orangen Streifen und da ich den anderen Schuh nicht nochmal ausziehen wollte, lugten aus den Schuhen eben rechts eine schwarze und links eine türkis-orangene Socke. Kann immerhin keiner behaupten, ich würde mit schlampig-löchrigen Socken rumlaufen!

Meine Frisörin grunzt beim Färben meiner Augenbrauen stets über die Form derselben. Denn eine meiner Augenbrauen ist etwas höher und kürzer als die andere. Aber auch hierfür habe ich einen guten Grund: Mein eines Augenlid hängt etwas weiter runter als das andere. Wenn meine Augen unterschiedlich aussehen, wieso dann nicht auch andersartige Augenbrauen besitzen? Muss schließlich alles angepasst sein!

Der größte Perfektionismus-GAU entsteht ja nicht einmal durch mich selbst, sondern wird mir auferlegt: „BH-Slip-Set“.
Meine Damen, wer kennt das nicht? Man kauft BH und Slip im Set und nachdem man beides einmal getragen hat, finden BH und Slip nie wieder zueinander. Die Herren kennen das mit Sicherheit auch, wenn sie ihre Frauen auspacken und oben ein blauer BH mit Kirschen und unten ein weißer Slip mit rosa Punkten sichtbar wird. Jaja, Herrschaften, das ist schwerer, als man(n) glaubt!

So trabe ich also mit nicht zueinanderpassender Unterwäsche, unterschiedlichen Socken und picassomäßigen Augenbrauen durch’s Leben und halte mich trotzdem für total perfekt.
Mein bester Freund schüttelt dann immer den Kopf und nennt mein Verhalten kindisch.
Bin ich das? Und selbst wenn, solange man unter 30 ist, hat man doch sowieso einen Freifahrtschein für’s Verrücktsein!
„Und was machst du, wenn du 30 wirst? Hörst du dann damit auf?“
„Wenn ich 30 werde, heißt das bloß, dass ich mir für mein Verhalten eine andere Ausrede einfallen lassen werde!“

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

27 Kommentare zu “26 | Perfektionismus und andere Makel

  1. Charmant geschrieben!
    Und interessanterweise erkenne ich mich darin auch.

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  2. Ist das wirklich so, dass man als Einzelkind nicht nach Junge/Mädchen erzogen wird sondern als Kind? Ich hab das anders in Erinnerung. Meine Mutter hätte lieber ein Mädchen gehabt. Und meinem Großvater war es peinlich wenn ich als kleiner Junge geweint habe… Aber egal – schöner Text!

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    • In meinem Fall war es so. Allerdings glaube ich, dass es mehr daran lag, dass meine Eltern wollten, dass ich „im Leben klarkomme“. Und dazu gehört eben, dass man alles lernt.
      Meine Eltern haben sich die täglichen Aufgaben nach persönlichen Vorlieben und Fertigkeiten geteilt: Rasenmähen fanden sie beide toll, dafür konnte mein Vater besser mit der Nähmaschine umgehen und meine Mutter hat sich eher technisch-filigranen Dingen gewidmet (z.B. Zerlegen von Handys).

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  3. Mit unter 30 gehört man zu den „Jungen Wilden“ und ab 30 entwickelt man sich in Richtung „Exzentrische Alte“ 😉

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  4. So ab Mitte 40 kannst Du Dich mit dem Begriff „Wechseljahre“ für alles rechtfertigen. Klappt prima 🙂

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  5. Du bist perfekt! Und ich erkenne mich und meinen Sohn in deinem sehr schönem Post! ❤

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  6. das mit den Stühlen am Tisch kenne ich nur zu gut und das mit den Augenbrauen ebenfalls. hat bei mir allerdings den Grund dass meine Augenbrauen von Natur aus hellblond sind und man sie nicht wirklich sieht. wenn ich sie dann einfärbe krieg ich jedes Mal nen Schreck wie sie schon wieder aussehen😂
    sehr genialer Text!

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  7. Ha, ich trag die unterschiedlichen Socken auch. Aber nicht nur um nicht zu suchen, sondern auch weils einfach schön aussieht wenn sie bunt sind…nur die Höhe muss stimmen, sonst geht das nicht 😀

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  8. … ich kontere mit Augensocken, die sehen noch lustiger aus wenn sie nicht zusammen passen… ;-D

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  9. Mit diesem Thema bist du echt mal wieder in Hochform, klasse.
    Perfektionismus ist eine Pest, die unheimlich viele Leute veranlasst, die eigene Lebensfreude zu unterbinden und sich selbst unglücklich zu machen. Nieder mit ihm!

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  10. „wer Hasenohren abrundet, wird niemals das Gymnasium besuchen dürfen“ definitely made my day! 😂 😂 😂

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  11. Hahaha ..ich musste jetzt lachen über den BH und Slip …Gut das mein Mann die Farben nicht erkennt ! 😂l.g.Anja

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  12. *ggg* Sehr witzig geschrieben! Für den Unterwäscheperfektionismus habe ich einen Tipp: Ich kaufe schon seit Jahren überwiegend schwarze Slips und schwarze BHs. Da findet man die paar bunten Teile dann ganz leicht, wenn sie mal gebraucht werden.

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  13. sehr sympatisch 😀

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  14. Ps.: woher ist denn das coole Titelbild?

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  15. Verrücktheiten im Alter? – Kein Problem … ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt sichs völlig ungeniert!
    Netter Text übrigens! 🙂
    Viele Grüße aus Stuttgart
    Karin

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  16. Wenn ich nach meinem Alter gefragt werde, sage ich generell 13. Das bedarf dann auch keiner weiteren Erklärung. 😉

    Danke für diesen Post! 😀

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  17. Herrlich! Übrigens, ab 60 darf man auch wieder verrückt sein. Ich habe mich nämlich entschlossen, dass es mir völlig egal ist, was andere denken. Lieber bin ich nämlich eine verrückte als langweilige Alte! Liebe Grüße

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