Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

29 | Maximale Isolationsschicht

51 Kommentare

Ich bin schon ein fettes Teil.
Nein, ich meine damit keinen Slang-Ausdruck für „cool/mega/hyper“. Ich bin einfach dick!

Die von Natur aus mit weniger Isolationsschicht bedachten Dünnen rümpfen über mich und meine Art-Verwandten gerne die Nase und fragen sich, wieso wir überhaupt so dick geworden sind.
Sind es die Büro-Jobs, bei denen man sich acht Stunden täglich keinen Millimeter bewegt (in Gesundheitsmagazinen heißt es schon: „Sitzen ist das neue Rauchen“)?
Sind es die Medien, die soviele untergewichtige Menschen zeigen, dass man sich quasi schon aus Trotz eine Extra-Portion auf den Teller lädt?
Vielleicht ist es auch die Lebensmittelindustrie, die uns nicht ausreichend vor den Folgen warnt?

Auf jeder Zigarettenschachtel kleben heutzutage mindestens vier Hinweise bzgl. „Rauchen kann tödlich sein“, „Rauchen schadet Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung“, „Rauchen tötet Spermatozoen“ (da werden die Tierschützer immer erstmal nervös, bevor sie es raffen).
Es wird sogar darüber diskutiert, auf Zigarettenschachteln Bilder von schwarzen Lungen, verfaulten Zähnen und amputierten Raucherbeinen zu veröffentlichen.
Was ist mit Süßwaren? Na klar, da stehen in dunkelgrauer Schrift auf hellgrauem Grund Nährwerttabellen und empfohlene Tagesmengen. Aber sieht man die noch, zwischen all den knallbunten Verzehr-Empfehlungen?

Erst kürzlich habe ich gelesen, dass eine schwer übergewichtige Frau unter Schwangerschaftsdiabetes litt und entgegen aller ärztlichen Ratschläge fröhlich weitergegessen hat. Das Resultat war ein Baby mit einem Geburtsgewicht von fast sechs Kilogramm. Welches die Frau auf natürlichem Wege ohne Kaiserschnitt entbunden hat!
Wieso nicht einfach mal ein Foto dieses Babies auf alle Schokoriegel drucken? Vielleicht noch mit dem Gesichtsausdruck der Frau direkt während der Geburt? Ich wette, der Abschreckungseffekt wäre gigantisch!

Tatsache ist, als erwachsener übergewichtiger Mensch ist man sich sehr wohl bewusst, dass man für sein Gewicht selbst verantwortlich ist. Die Risiken des Übergewichts ignoriert man dennoch geflissentlich: Diabetes, Bluthochdruck, Herzprobleme, Gelenk-Verschleiß, nächtliche Atem-Aussetzer, etc.
Irgendwann sitzt man dann röchelnd bei seinem Hausarzt und hört den glorreichen Satz: „Wenn Sie so weitermachen, werden Sie keine 25 mehr!“
Nur um dann zu entgegnen: „Ich bin aber schon über 25…“ – „Öh (wühlt nervös in seiner Akte). SEHEN SIE! ES KANN JEDE SEKUNDE SOWEIT SEIN!“

Was mich schlussendlich zum Abnehmen bewogen hat, war der Trend. Nicht der Modetrend, sondern mein Gewichtstrend!
Als ich nämlich mit 85kg aufwachte, dachte ich mir: ‚Mensch, wenn du jetzt eine Diät anfängst, würde es wohl ein ganzes Jahr dauern, bis du schlank wärst. Boah, keine Lust drauf!‘
Als ich mit 112kg aufwachte, dachte ich mir: ‚Mensch, wenn du jetzt eine Diät anfängst, würde es wohl zwei ganze Jahre dauern, bis du schlank wärst. Boah, keine Lust drauf!‘
Aber dann dachte ich mir: ‚Wenn du jetzt nicht endlich anfängst, denkst du dir mit 150kg, dass es drei Jahre dauern würde und beginnst deswegen nie mit dem Abnehmen!‘

Bei meiner letzten Diät habe ich dann fast 50kg verloren.
Ständig wurde ich von Leuten angesprochen, wie ich das geschafft hätte. Und stets sahen sie mich bei dieser Frage an, als sei Abnehmen ein geheimes Mysterium, dessen Wahrheit nur Auserwählte kennen. Als würde ich mich vorbeugen und flüstern „Ich habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen: Er macht mich 50kg leichter und ich bringe ihm dafür 60 Seelen. 48 habe ich schon!“
Dabei ist Abnehmen wirklich ganz simpel: Man muss einfach jede Mahlzeit, jeden Snack und jede Zwischenmahlzeit ersetzen. Und zwar durch zwei Stunden Sport!

Nachdem ich mein Gewichtsziel erreicht hatte, kommentierten ständig Leute „Wow, jetzt bist du ja ein ganz anderer Mensch. Jetzt läuft dein Leben bestimmt viiiel besser!“
Wieso sollte ein Leben besser laufen, bloß weil jemand Gewicht verloren hat?
Klar, in der S-Bahn kann man dann auf einem statt auf zwei Sitzen Platz nehmen. Wenn man Wäsche trocknet, passen auch mal zwei T-Shirts auf eine Wäschestange.
Aber wird man zu einem anderen Menschen, bloß weil man abgenommen hat?
Ich brauche zum Sehen immer noch eine Brille, komme im Supermarkt immer noch nicht an Waren im obersten Regal und kann Gurkengläser immer noch nicht öffnen, ohne dabei laut zu Fluchen und sie gegen die Spüle zu trümmern.
Man bleibt definitiv derselbe Mensch. Man ist bloß leichter.

Zwischenzeitlich habe ich leider auch wieder etwas zugenommen. Denn immer, wenn ich durch den Supermarkt laufe, höre ich diese Stimmen! „Folge uns! Komm hierher! Komm zu uns auf die dunkle Seite der Macht!“
Was soll ich sagen, ich steh einfach auf dunkle Schokolade…

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

51 Kommentare zu “29 | Maximale Isolationsschicht

  1. Ich bewundere die Disziplin… Und ich denke, anderen geht es auch so;-)

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  2. Ich versteh dich so gut! Dunkle Schokolade – ein Traum! Ansonsten einfach wieder zwei Stunden Sport machen nach einer Tafel Schokolade. Darf ich dir diesen Beitrag empfehlen? Hab ich vor einiger Zeit mal eingestellt!
    https://aktiv60plus.wordpress.com/2015/09/03/nichts-ist-wertvoller-als-ein-guter-freund-ausser-ein-freund-mit-schokolade-charles-dickens/
    Bleib standhaft – jedenfalls meistens. LG Sigrid

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  3. Bei mir ruft die dunkle Seite der Macht gern aus der Chipstüte. Aber pro Chipstüte ZWEI STUNDEN SPORT? Ich sehe den Nutzen, halte das aber in meinem Leben schlicht für nicht durchführbar ….
    Nachdenklich
    Christiane

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  4. „Oh, wann ist es denn soweit?“ (Niedliche Oma fragt neugierig in der Straßenbahn)… „Gar nicht, ich bin einfach dick.“… Wenn es soweit ist, dann kaufe ich mir eine Waage und ein Diätbuch. Vorher nicht! *zur Schokolade rüberblinzelt*

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    • Oh mein Gott, dass kenne ich. Ein Vater von fünf Kindern (der müsste also wissen, wie Schwangere aussehen), hat mir diese Frage ebenfalls mal gestellt. Schrecklich.
      Wenn sich das Fett wenigstens nur in südlicher und nördlicher Richtung verteilen und einem zum perfekten Kurvenkörper verhelfen würde!

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    • Oh je das ist mir auch mal passiert. Ein Paar, das vor einem Jahr geheiratet hatte, das letzte Mal auf der Hochzeit gesehen. Durch Zufall auf der Straße getroffen. Die Frau mit einem freudigen Grinsen gefragt: „Wann ist es denn so weit?“ In ihrem Gesicht war keine Freude zu sehen, als sie antwortete: „Ach so, neeee, ich hab nur ein bisschen zugenommen.“
      Oh man war das peinlich… Nie wieder werde ich so eine Frage stellen. 😉

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  5. Wenn mir der Einwurf gestattet ist: Bei der breiten Masse (kleiner Witz am Rande) entsteht vielleicht die Hoffnung „Wenn sie es geschafft hat – kann ich das auch“. Natürlich nur im positiven Sinne.

    Das ist doch ein ganz charmanter Ansatz, warum die Leute in deiner Gegenwart auf einmal von einem „besseren Leben“ sprechen, oder? 😉

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    • Mir stellt sich nur die Frage, was Menschen über Dicke denken. Als würden übergewichtige Menschen den gesamten Tag daheim auf dem Boden liegen und brüllen „Ich hasse mich, ich hasse mein Leben“? Und als würde sich das Leben um 180 Grad drehen, wenn man nur normalgewichtig wäre. So ist es aber nicht.

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      • „Das Gewicht der Welt und deines Bauches drückten dich in die Zuckerhölle. Das wabbelige Dasein bestand aus dem sehnlichen Wunsch diesem Leid zu entkommen. Doch nun hast du den Fettheitstod überlistet und bist aus den Sümpfen der Kohlenhydratdepression geflohen. “

        Mit diesem Bild im Kopf ist es schon eine enorme Veränderung, dass du ein normales Leben führst.
        Wo wäre auch der Gewinn, wenn du früher schon ein normales Leben hattest und nun einfach dünner bist?

        Lass dich nicht ärgern – hauptsache man fühlt sich wohl in seiner Haut. Den Rest haben die anderen umsonst 😉

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  6. Sport macht mich nur hungrig. Hat zum Abnehmen nie was genutzt. Ich habe immer erst diätet und dann mit dem Sport (wieder) begonnen. Jetzt mit Kind sind allerdings Diäten ein für alle Mal aus meinem Leben gebannt und mein Gewicht wird nicht thematisiert solange ich im Normalbereich herumdümpel.

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  7. ich denke, man muss sich wohl in seinem Körper fühlen und die anderen sollten ihre Klappe halten……ich passe mein Leben lang auf mein Gewicht auf, einfach weil ich mir so gefalle, aber dicke Menschen lehne ich nicht ab, es ist eine persönliche Lebensentscheidung, und ob gewisses Übergewicht (ich meine jetzt nicht extremes) wirklich so schädlich ist, ist nicht wirklich erforscht!

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    • Eben. Das wichtigste ist, dass man sich selbst wohlfühlt.

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      • das sehe ich genauso……ich finde, man sollte weniger gesellschaftlichen Druck auf Übergewichtige ausüben…

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        • Bei Übergewichtigen ist das wie bei Alkoholikern: Die Leute wissen, dass sie ein Problem haben. Druck ist da sowieso immer der falsche Weg.
          Was man in der Tat mal mehr tun könnte, wäre Hilfe anbieten. Ich war bei einer meiner ersten Diätversuche tatsächlich mal beim Arzt, weil ich seit der Ernährungsumstellung nur noch unter Durchfall litt. Rate mal, was die Ärztin sagte? Sie musterte mich von oben bis unten und meinte „Sie sollten sich über den Durchfall freuen. Dann nehmen Sie schneller ab!“ Ich muss nicht erwähnen, dass dieser Diätversuch ein „Versuch“ blieb…

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  8. Man wird nicht anders … Man wird mehr wie man selbst. Das merken die anderen Leute erst dann, wenn sie das alte Klischee des Mopses durch das des Abnehmwunders ersetzt haben. Obwohl es nicht ganz stimmt. Zumindest ich habe mich in einigen, persönlichen Dingen, geändert. Das muss aber jeder für sich selbst beurteilen.
    Aber wenn Sitzen das neue Rauchen ist, muss ich mal ein ernstes Wort mit meinem Arzt und seinen Gesundheitstipps reden. 😆

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  9. Dicke sind gemütlicher,denn sie haben mehr Reserven.

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  10. Hahahahaaah!!! Hab mich fast ksputtgelacht! So geil geschrieben!!! Tja einen gesunden Lebensstil zu führen ist wirklich Schwerstarbeit. Ich war letztes Jahr ganz fleissig, dann kam der Winter, die erste Grippe, die Bandscheibe, Stress bei der Arbeit, dann die zweite Grippe und ich hoffe, ja bete schon fast, dass ich noch dieses Jahr zum nächsten Training komme. Aber man muss einfach positiv bleiben, dann wird alles gut. Irgendwann. Hoffe ich zumindest. 😉

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  11. Danke für diesen Artikel. Ich nehme ja auch gerade ab mit Weight Watchers und befasse mich daher mit dem Thema Essen intensiv. Bist Du evtl ein Emotionale Esser? Ich kann Dir die Bücher von Maria Sanchez empfehlen. Lese ich auch gerade.

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    • Ich bin ein Esser, der alles falsch macht, was er falsch machen kann: Ich esse aus Stress, ich esse aus Freude, ich esse, wenn ich mich normal fühle. Ich esse stets alleine und am liebsten auch noch vor dem Fernseher.
      Ich weiß, dass ich es besser machen könnte und sollte. Aber es macht Spaß, in Ruhe beim Fernsehen zu essen. Zwischen Arbeit, Haushalt und sonstigen Verpflichtungen besteht nicht mehr viel Spaß. Soll ich das bisl, das ich habe, also auch noch aufgeben?
      Dann doch lieber noch ne Runde Sport obendrauf… 😉

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  12. Danke….Für die Lacher bei deinem Bericht…Sonnenschein und Lachen…was will man mehr….

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  13. 60 Seelen… 😆 herrlich! Das Abnehmen ist nicht die Herausforderung, sondern das „Halten“ und mal ehrlich, das Alter spielt einem dabei leider auch nicht in die Karten. Man muss sich schon an einem Stück Schlangengurke begeistern können 😉

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  14. Isolationsschicht = Biopren

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  15. Soooo ein toller Text und auch mit viel Witz geschrieben. Gefällt mir.
    Auch dein Header-Bild hat mich zum lachen gebracht – danke 🙂

    http://www.einfachzauberhaft.wordpress.com

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  16. Ich höre diese Stimmen auch 😉 und erliege ihnen oft genug leider… Der Text ist mal wieder super geschrieben! 🙂
    LG Christina

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  17. Nein man ist kein anderer Mensch ..ob dick oder dünn . Bewundernswert solch eine Disziplien zu haben soviel abzunehmen . Ich glaub ich hätte die nicht .😊 L.g.Anja

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  18. Super geschrieben

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  19. … dein Humor ist mega so wie dein Kommentatoren … ;-D

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  20. großartiger und wundervoller text. und hut ab vor dieser leistung!

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