Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

37 | Ertrunkener Klostein

58 Kommentare

Ich las zuletzt ein Buch über Wohngemeinschaften.
In einem Kapitel wurde der Umstand beschrieben, dass in jeder WG irgendwann nur noch über Post-its kommuniziert wird.

Das erinnerte mich an meine eigene WG-Zeit, die jedoch schon etliche Jahre zurückliegt. Auch ich wollte damals einerseits Dinge immer klar ansprechen, um nicht vor Wut einen Herzinfakt zu riskieren. Andererseits wollte ich meinen Mitbewohner auch nicht zu sehr in Rage versetzen, denn immerhin wohnten wir zusammen und ich wollte tunlichst vermeiden, nachts mit einem Kissen erstickt zu werden…

Die Autorin des Buches schrieb, dass in einer ihrer WGs ein Bewohner immer forderte, von ihr geweckt zu werden. Über dieses Verhalten machte sie sich herzlich lustig.
Auch ich habe meinen Mitbewohner morgens immer geweckt, empfand es allerdings nie als sonderlich dramatisch, im Schlafanzug um Punkt 7:10 Uhr die Tür am Ende des Flures einzutreten und meinen Hausgenossen mit „PACK DEINE HÄSSLICHEN, FALTIGEN KLÖTEN AUS DEM BETT UND KOMM IN DIE GÄNGE, DU ALTE ARSCHKRAMPE!“ aus seiner plüschigen Traumwelt zu befördern.
Auf diese Art und Weise konnte ich auch gleich den angestauten Hass verarbeiten, der mich um 6:30 Uhr überkommen hatte, als die Zahnpasta-Tube trotz wilden Quetschens mal wieder keinen Tropfen hergab, obwohl ich im letzten WG-Meeting extra lange den Redestab eingefordert hatte, um zu erklären, dass man die Zahnpasta dann wegschmeißt und auf der Einkaufsliste einen entsprechenden Vermerk macht.

Wohngemeinschaften sind eben so eine Sache…
Du glaubst, einen Freund wirklich sehr gut zu kennen. Dann zieht ihr zusammen und nach zwei Monaten Wohngemeinschaft wird dir klar, welch ein Sonderling da mit dir die Bude teilt: Überall in der Wohnung befindet sich plötzlich Besteck, sogar im Badezimmer. Der Hausgenosse scheint sich ausschließlich von Schokopops zu ernähren, die vor dem Verzehr mindestens 15 Minuten in 3,5%-Fett-Milch eingeweicht werden müssen. Und beim gemeinschaftsfördernden Nudelkochen hörst du plötzlich den irritierenden Satz „Das Wasser ist noch nicht durch!“, gefolgt von einer endlosen Predigt, was man beim Nudelkochen alles falschmachen kann. Nein, mein Mitbewohner war kein Italiener. Bei denen toleriere ich es, wenn sie hysterisch werden, weil die Nudeln acht Sekunden zu lange im Wasser waren.

Ich gebe allerdings – wenn auch nur ungern – zu, dass ich bei mir selbst ebenfalls einige absonderliche Geflogenheiten entdeckten musste, die mir erst im Miteinander des WG-Alltags bewusst geworden sind (mal davon abgesehen, dass ich mich weigerte, die Toilette zu benutzen, als kein Klopapier da war. Mein Mitbewohner tat dies natürlich sofort als Persönlichkeitsstörung ab).

Zusammenleben heißt aber auch, dass man etwas erlebt. Deswegen heißt es ja so.
Da sind die guten Seiten der Gemeinschaft. Die Freundschaft und der Zusammenhalt. Zum Beispiel Montagsmorgens um 2:00 Uhr seinen Mitbewohner zu fragen, ob er sich noch an die gute alte Zeit erinnern kann, in der man als Kind draußen herumtollte und auf Bäume kletterte. Nur, um dann kurz darauf mit dem Mitbewohner tief in der Nacht durch die Großstadt zu rennen und geeignete Bäume zum dran-raufklettern zu suchen.
Oder bei einer schlimmen Grippe den Mitbewohner loszuschicken, um grünklebrige Zaubermittelchen zu organisieren (ich meine nicht Marihuana).

Klar, es gibt natürlich auch schlechte Seiten. Wer will schon nach einer Zwölf-Stunden-Schicht völlig genervt, übermüdet und hungrig nach Hause kommen, nur um festzustellen, dass in der eigenen Wohnung gerade eine Party steigt, zu der man nicht eingeladen wurde und jetzt noch zwei Stunden warten muss, bis man sich etwas kochen darf, weil die Party-Pizzabrötchen erst noch im Akkord durch den Ofen wandern müssen.
Oder beim ebenfalls feierabendlichen Betreten der Wohnung mit dem schuldbewussten Antlitz des Mitbewohners konfrontiert zu werden, gefolgt vom Geständnis: „Ich habe unseren Klostein runtergespült!“ War erstmal nicht schlimm, das Teil hatte nur 49 Cent gekostet. Mein Mitbewohner nickte, schaute weiterhin bedrückt und fügte hinzu: „Ich hab mit dem Klostein aber auch die überdimensionale Klostein-Halterung runtergespült und jetzt läuft das Wasser in der Toilette nicht mehr ab…“
Ist schon toll, wenn man aufgrund der nicht vorhandenen handwerklichen Begabung des Hausgenossen den Feierabend mit dem Arm im Klo verbringen und nach einem Lavendel-Klostein samt Plastik-Halterung fahnden darf.

Betrachten wir das Phänomen Wohngemeinschaft also objektiv:
Da werden feste Öffnungszeiten für Bäder, Küchen und in sehr feindlichen Umgebungen sogar für Wohnungstüren ausgemacht. Putzpläne aufgestellt, die den Projektplan eines Großkonzerns in den Schatten stellen. Kühlschränke mit Panzertape in physikalische Bereiche unterteilt. Flure zweifarbig gestrichen, weil man sich nicht auf eine Farbe einigen konnte. Und Zahnbürsten weggeschlossen, um auch ja allen ekligen Rache-Akten der Mitbewohner aus dem Weg gehen zu können.
Damit sind WGs genau die Art von freiheitlicher Einengung, der man mit dem Auszug aus dem Elternhaus doch entgehen wollte.
In diesem Sinne: Preiset die Wohnwagen!

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

58 Kommentare zu “37 | Ertrunkener Klostein

  1. Sehr amüsant geschrieben 😉 Zum Glück läuft in meiner WG seit 30 Jahren alles glatt und ich werde nie aus dem Bett geschriehen, jedenfalls nicht morgens 😀

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  2. Oh Mann, an die potentiellen Racheakte mit Polster und Zahnbürste hatte ich gar nie gedacht! Ein Wunder, dass ich so alt geworden bin und noch immer fröhlich vor mich hin altere 😉
    War wieder ein sehr lustiger Beitrag! 🙂 Obwohl ich einige Zeit brauchte, um im Titel den Teil mit dem Kloster-was-jetzt? richtig zuzuordnen 😉

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  3. das war gut Fahndung nach… ich musste so lachen…LG Wortgestoeber

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  4. Das ist ja wie in einer Ehe. Liebe oder Zweckgemeinschaft. Nachsicht oder Vorsicht? Das ist hier die Frage, oder so.

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  5. Wenn man zusammen lebt kann man gemeinsam Probleme lösen, die man alleine nicht hat 😉 😉
    Kann auch ein Lied singen vom WG-Leben.

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  6. Bei deinem Text kommen einige Erinnerungen hervor, die Jahrzehnte irgendwo vergraben waren. 🙂

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  7. du weigerst dich wenn klopapier aus is auf den klo zu gehen? 😀 😀 — hattet ihr denn keine küchenrolle oder taschentüscher… also du stellst dich wirklich an 😛 WG kann nun wirklich nicht so schlimm sein wie mit einer frau zusammen zu ziehen… dumdidum *wegrenn*

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    • Pah, gar nix war da! Und ich bin ein friedlicher Mensch, sonst hätte ich zum Ar***-Abwischen das Badetuch meines Mitbewohners verwendet! Und es danach ins Klo gestopft!! Und es ihn dann dort rausholen lassen!!! XD

      Wer will denn auch mit dir zusammenziehen 😉 *renn*

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  8. Kommunikation per Post-it ist aber doch etwas antik. Ich kommuniziere mit meiner Mitbewohnerin vor allem per SMS und E-Mail.

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  9. Also, das kann einem (fast) alles auch in der Familie passieren. Gut, ich gebe zu, meine ist nicht normal. Was bin ich froh, wenn mein Mitbewohner auszieht. Keine Zahnpasta mehr im Waschbecken, keine leeren Getränkekartons mehr im Kühlschrank, kein Versteck mehr für die eigenen Süßigkeiten, keine Hygieneschleuse mehr vor dem Zimmer des Mitbewohners. 😉
    Liebe Grüße, Kerstin

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  10. Als ein Mensch der gerne in WGs lebt erkenne ich so einiges wieder.
    Letztlich bleibt zu ergänzen: heute kommuniziert man über wg chats in whatsapp. Geredet wird dann einfach nicht mehr (auch wenn Men nebenan sitzt)… albern ist es immer noch. 😉

    Kann nur hoffen, dass die nächste Konstellation etwas. .. more sociable ist. Zweckwg stinkt und man erkennt die Toleranzfähigkeit seiner Mitmenschen daran.

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  11. … habe 2 Jahre im Studentenwohnheim verbracht… ich frage einfach nicht mehr nach warum getrocknetes Eigelb den Küchenschrank ziert, ich ignoriere es einfach… 😉

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    • Wir hatten getrocknetes Eigelb auf der Waschmachine (stand in der Küche). Bin rückwärts aus der Küche raus und dachte mir ‚Das machen aber die sauber, die’s verbrochen haben‘. Nur um am nächsten Tag einen POST-IT-ZETTEL!! (da war’s) an der Tür vorzufinden: „Wir sind zwei Wochen bei [freundin]. Tschüssi“. Ähm, ja. Herzlichen und so…

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  12. Sehr lustig…. jetzt weiß ich wieder, warum ich nie in eine WG wollte. Naja, zumindest nicht mit wildfremden Leuten. 😉

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  13. Ich wohne schrecklich gerne in WGs, dort erlebt man einfach immer was. Auch wenn nicht alles positiv ist, es wird immerhin nie langweilig. 😀

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  14. Hab das grad der lieblingstochter vorgelesen – um sie vorzubereiten 😀 …und was sagt sie: „…bis auf die Party würde mich da nix stören.“ Ich lach mich schlapp, diese Ordnungsfanatikerin :-DDDD . Hinterher kann man wirklich drüber lachen. Ich weiß auch gar nicht mehr, warum ich damals für 2 Monate ausgezogen bin, obwohl ich die Bude nach den 2 Monaten vollständig gemietet habe und das schon vorher feststand. Meine Mitbewohnerin war doch eigentlich ne ganz liebe 😉

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  15. Sehr schön geschrieben . Für mich kam niemals eine WG in Frage . Ich glaub dazu wäre ich nicht in der Lage und ich wör auch unzumutbar für andere ! 😂l.g.Anja

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  16. Jetzt eine mit 2 Mann und 2 Hunden.. ruf mich an, wenn du dir alles gut überlegt hast ….
    Aber dieser Kloostein… mein Gott, hättest du den nicht retten können…. Mund zu Mund Beatmung und so…
    Da komm ich nich mit klar….:-)
    LG
    PJP

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  17. Ich bin gerade sehr froh, nie in einer WG gelebt zu haben. Obwohl, das Zusammenleben mit meinen Teeniekids als alleinerziehende Mutter könnte durchaus als WG 2.0 betitelt werden, mit dem erschwerenden Umstand, daß ich mir meine Mitbewohner niemals aussuchen kann. Kinder sind bekanntlich unkündbar.

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  18. Das mit dem Klostein ist neu 😀
    Und… Redestab? Ernsthaft?

    Ich selbst habe über fünf Jahre in WGs gelebt und die Schnauze voll davon. Was ich da alles erlebt habe… Küchenprodukte, bei denen man glauben könnte, Biostudenten hätten ihre Experimente vergessen… Leute, die einen wegen des Sauberkeitsverhaltens ankacken und selber für Plätzchenblechorgien sorgen… oder Leute, die einem einmal auf einem Post-it mitteilen, was einen stört, und dann als nächste Maßnahme direkt wieder ausziehen.

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