Roe Rainrunner

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41 | Lang lebe das Plastik-Dings

31 Kommentare

Ich kann mich noch genau an sie erinnern.
Es gab sie manchmal, wenn man besonders brav war. Meist aber erhielt man sie zu feierlichen Anlässen: Weihnachten, Geburtstage, etc. Die Rede ist, na klar, von Überraschungseiern! Was habe ich die Dinger als Kind geliebt. Und war damit vermutlich eines von 23.263.658 werbe-verseuchten Kids, die auf „Spiel, Spaß und Schokolade“ standen.

Die Situation an Festtagen war bei uns stets dieselbe:
Ein Dutzend kleine, in niedliche Kleidchen und feine Hosen gehüllte Kinder saßen mehr oder minder feierlich – auf jedenfall aber schreiend – am sogenannten Kindertisch.
Irgendwann tauchte dann jemand mit den berühmten Ü-Eiern auf und verteilte diese. Ganz wichtig war, dass die Menge der zu verteilenden Ü-Eier in direktem Verhältnis zur Anzahl der anwesenden Kinder stand, sonst konnte es schnell zum plötzlichen Kindstod kommen!

Nachdem wir die Schokolade fein säuberlich aufgebrochen, abgeknabbert und waschmittelfest auf unsere Festtagskleidung verteilt hatten, standen wir vor der ersten Hürde: Kleine, schwache, meist fingernagellose Kinderhände pfriemelten quengelnd an den gelben Plastik-Hülsen herum, in denen sich die eigentliche Überraschung befand. Nachdem die Plastik-Eier versuchsweise auf dem Kopf der kleinen Geschwister „aufgeschlagen“ wurden, schritten unsere besorgten Mütter ein und öffneten die Plastikhüllen selbst. Heraus fielen ca. 4.978 Einzelteile, was vom jeweiligen Kind mit einem „PAPA! MACHEN!“ kommentiert wurde. Denn eine Sache war für uns Kinder damals absolut klar: Bastel-Arbeiten waren Aufgabe der Papas.

Was nach dem kindlischen Aufruf folgte, wird von Wissenschaftlern auch heute noch als im Tierreich einmaliges Ereignis beschrieben: Hilflose Männchen unterschiedlichen Ranges vereinten sich zu Zweckbündnissen und platzierten ihre teils massigen Körper auf den Kinderstühlchen, um leidenschaftlich ans Werk zu gehen: „Hast du dasselbe Teil wie ich? Ich hab hier was Rotes.“ – „Nein, das ist etwas anderes. Schau, meins ist blau.“ – „Hier gugg, ich hab das auch. Was hast’n du mit dem grünen Plastikstäbchen gemacht? Ach, das muss dahin…“
Die Väter versuchten vereint, die Krisenzeit zu überstehen, bis…
„OH GOTT, mir fehlt ein Teil! Hat einer den Gummireifen gesehen? NIEMAND BEWEGT SICH!“

Spätestens, wenn das erste Plastik-Dings verschwand oder abbrach, war guter Rat teuer. Da wurden Großmütter als Ablenkungsmanöver auf Kinder angesetzt, der Nachtisch vor den Mahlzeiten verteilt und Weihnachtsgeschenke schon um 12:00 Uhr mittags ausgepackt, während Horden von erwachsenen Männern jaulend mit den Fingern den Teppichboden abgrasten und Staubsauger mit frischen Beuteln versahen, um das abhanden gekommene Teilchen doch noch zu finden.

Wenn alles nichts nutzte, wurde einer der Väter losgeschickt, um im Supermarkt ganze Euro-Paletten an weiteren Überraschungseiern nachzukaufen. Während Tanten und Onkel tonnenweise Kinder-Schokolade in sich hineinstopften, um die Spuren zu verwischen, wurden alle neuen Ü-Eier durchsucht, in der Hoffnung, genau diesen Inhalt nochmal zu bekommen.
Irgendwann wurde man meist fündig.

Dann war es soweit:
Das Kind lief mit großen, leuchtenden Augen zum Vater und er streckte – das heisere Röcheln unterdrückend – dem Kind das zusammengebaute Spielzeug entgegen. Das Kind strahlte den Vater an, die Illusion war gewahrt und dem männlichen Vorbild wurd ein Denkmal gebaut: „Mein Papa kann ALLES. Sogar Ü-Eier zusammenbauen!“
Väter-Herzen schmolzen, überglückliche Kinder spielten mit nicht-verschluckbaren Kleinteilen, auf der gesamten Welt standen für eine Minute alle Kriege still…

Bis wir Kinder nach Ablauf dieser Minute die Spielzeuge in die Ecke schmissen und nie wieder anrührten.

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

31 Kommentare zu “41 | Lang lebe das Plastik-Dings

  1. Wunderbar! Mittlerweile gibt es die Problematik der pinkfarbenen und der hellblauen Eier.Und Ü-Eier zusammenbasteln ist für mich schlimmer als Lego. Viele Grüsse! Kat.

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  2. wusstest du, dass diese wunderbaren Ergebnisse amerikanischen Kindern vorenthalten werden😉 es besteht naemlich ein Einfuhrverbot , weil nach amerikanischer die Gefahr zu gross ist, dass das Spielzeug verschluckt wird😉😉

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  3. großartiger beitrag. v.a. die vorstellung der väter auf den kinderstühlchen….herzhaft gelacht

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  4. Hat dies auf Joachim Rohlfings SiteBlog rebloggt und kommentierte:
    Meine Jungs saßen auf jeweils einer oberen Beinhälfte und gaben ‚Tipps‘, wo nun was hingehören könnte.

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  5. hahahahah wie geil. aber genauso ist es. sowie feste auf die brust-klopf: „ICH HABE FEUER GEMACHT::: ICH HABE FEUER GEMACHT“ ugaagauga. und natürlich den wettstreit zwischen den vätern nicht vergessen, wer am schnellsten ist und die frauen wegstossen welche sich auch der männertypischen aufgabe versuchen und sich auch nur ein klein bischen wagen besser und schneller als die männer zu sein 😀 hahahaha schöner beitrag.

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  6. … ich habe immer nur die Ü-Eier gekauft die ein tiefes Geräusch beim schütteln machten, da war dann nur eine Figur drin… 😉

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  7. Ich kauf nur noch die großen Ü-Eier zu Oster und Weihnachten. Die einzigen, wo sich Schoki im Verhältnis zum Inhalt lohnt.

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  8. hahaha… schon wieder so ein genialer Beitrag! In die Hände geklatscht!
    Heute heißent die Ü-Eier für Väter – IKEA –

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  9. Herrlich! 🙂
    Ich habe es immer total unfair gefunden, dass mein Papa mein Spielzeug genommen hat, um es zusammenzubauen. Ich wollte das ja viel lieber selbst machen. Das hat natürlich nie funktioniert, aber einen Tobsuchtsanfall war es wert. Meine große Schwester war da irgendwie geschickter, das könnte jetzt daran liegen, dass sie halt schon älter war, oder weil
    „[…]Plastik-Eier versuchsweise auf dem Kopf der kleinen Geschwister “aufgeschlagen[…] wurden“ !!! Aaaahhh! Kindheitstrauma! 😉

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  10. WAs habe ich doch in meiner Kindheit versäumt, dass ich diese Ü-Eier nicht hatte. 🙂 😉

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  11. Ich bin den Überraschungseiern momentan entwachsen. Wobei sich das ja auch wieder ändern kann, wenn dann irgendwann eine weitere Generation Gebrauch von meinem Ü-Ei-Geschick nehmen wöllte.
    Als ich „noch aktiver“ Verzweifler und Zweifler habe ich mir immer vorgestellt, was das für kranke Kreaturen sein müssen, die sich sich ausdenken, wie an das Inventar eines Einfamilienhauses in ein Ei hineinbringt.
    Habe mir vorgestellt, die schlafen schlecht, wachen tief in der Nacht schweißüberströmt auf, um nun endlich den 74 Grad gebogenen Stömpel mit einem 5,5 eckigen Grümpel einschiebzuflanschen.
    Krankhafte Naturen, denen das Unmögliche zu konstruiren gelingt.
    Krankhafte Naturen, die sich daran ergötzen, wie Kinder das Vertrauen in ihre Eltern verlieren, weil diese einfach die Basics nicht beherrschen.
    Die Miniaturisierung ist m.E. noch nicht am Ende. Ich warte auf das Nano-, nein, das Nanu-Ei.

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