Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

51 | Strategische Kriegsführung

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Lang lang ist’s her, man zahlte noch mit Deutscher Mark.
Klein Roey plante ihr erstes Date. Ich wollte meine Eltern vorsichtig hierauf einstimmen, denn ich war mir sicher: Würde ich die Ankündigung meiner ersten andersgeschlechtlichen Interaktion versauen, bekäme ich vermutlich Hausarrest, bis ich 35 wäre!
Es galt also, das Thema sachte anzupacken.

Im Bezug auf Eltern muss man sich zwei Dinge stets vor Augen führen:
1. Mütter sind bei Söhnen überfürsorglich. Bei Töchtern übernehmen Väter diese Rolle.
2. Die wahren Herrscher der Erde sind die Frauen.
Nein, ich bin keine Sexistin. Aber hinter jedem starken Mann steht eine Frau.
Ich bin mir daher auch ziemlich sicher, dass Laura Bush für den Irak-Krieg gewesen ist. Oder glaubt ihr, George W. Bush hätte einfach so einen Krieg angezettelt, wenn die Gefahr bestanden hätte, dass zuhause eine Eiszeit ausbricht?

Mit diesem Wissen im Hinterkopf tappste ich also des Morgens in die Küche.
Das Frühstück gilt übrigens nur deshalb als wichtigste Mahlzeit des Tages, weil man ausschließlich hier kritische Themen ansprechen sollte. Versucht niemals, schlechte Neuigkeiten beim Abendessen zu besprechen, wenn alle Beteiligten einen stressigen Arbeitstag hinter sich haben und völlig entnervt sind.
Davon abgesehen sind die meisten Menschen vor dem ersten Kaffee noch gar nicht richtig wach und aufgrund der damit verbundenen verminderten Reaktionsfähigkeit bedeutend ungefährlicher.

Ich setzte mich also betont unschuldig an den Tisch und grabschte nach einem Brötchen.
Die erste Tasse Kaffee war noch nicht in den elterlichen Gedärmen eingetroffen, dementsprechend wortkarg gaben sich die beiden.
Die Hausherrin befand sich im Müsli-Zermalmungsprozess und las wie üblich nebenbei die Tageszeitung. Meine Mutter agierte hierbei stets im Verborgenen, mich blickte lediglich die Wettervorhersage der Lokalzeitung an, hinter der in regelmäßigen Abständen ein Löffel Knuspermüsli verschwand.
Mein Vater war bereits komplett in Arbeitskleidung und schmierte sich genüsslich ein Marmeladenbrot, während er lautstark an seinem Kaffee nippte.
Geräuschlich lief das Frühstück im Hause Rainrunner also wie folgt ab: raschel, raschel, knurps, knurps, schlüüürf
Davon nur nicht aus der Ruhe bringen lassen!

„Ich hab heute abend ein Date!“
Meine Entscheidung war auf den Überraschungsangriff gefallen. Der Feind sollte durch den Erstschlag empfindlich geschwächt werden.
Die Müslifressende Tageszeitung ließ sich durch sowas aber nicht beirren: raschel, raschel, knurps, knurps
Der Uniformierte war da nicht ganz so beherrscht: „WAAAS?“ Meinem Vater fiel das Marmeladenbrot aus der Hand, es landete auf der Brusttasche seines Hemdes und blieb dort majestätisch kleben.
Die Wettervorhersage kommentierte auch dieses Geschehen nur gelangweilt mit: raschel, raschel, knurps, knurps

„Ja, heute abend. Ich gehe mit einer Freundin ins Kino. Wir haben ein Doppel-Date, so kann nichts passieren.“
Wichtig: Eltern in Sicherheit wiegen! Wenn man die beste Freundin mitnimmt, verringert das die Gefahr eines Kidnappings, wodurch das erste Gegenargument direkt ausgehebelt wird. Natürlich erhöht sich dabei gleichzeitig die Gefahr, dass das Date in eine wilde Sexorgie ausartet. Aber soweit waren wir schon allein aus Altersgründen noch nicht.

„WAAAAAAS?“ Mein Vater sprang auf. Bei einer Körpergröße von gefühlten zwei Metern und einem nachgewiesenen Lebendgewicht von weit über 150kg, brauchte es die Uniform gar nicht, um respekteinflößend zu wirken. Aber ich kannte ihn ja.
Die Müsli-Zeitung mischte sich weiterhin nicht ein: raschel, raschel, knurps, knurps

„Wir sind um Punkt 22 Uhr zurück. Abholen müsst ihr uns auch nicht, die Mutter meiner Freundin erledigt das bereits.“
So, das nächste Gegenargument ‚Dann müssen wir dich ja mitten in der Nacht abholen!‘ war damit ebenfalls aus dem Weg geräumt.

Die Zeitung kommentierte in gleichbleibendem Rhythmus: raschel, raschel, knurps, knurps
Der Gegner bäumte sich zu voller Körpergröße auf und schmetterte mir mit Grabesstimme entgegen: „DU BIST VIEL ZU JUNG!“
Mit dem Altersargument hatte ich gerechnet. Ein ‚Aber die anderen tun es ja auch‘ konnte einem solchen Kaliber nichts entgegensetzen. Hier half nur der Frontal-Angriff.
Keck entgegnete ich also: „Du kannst ja mitkommen, wenn du so besorgt bist!“

Natürlich erwartete ich, dass er rational darüber nachdenkt. Sich vorstellt, wie ein erwachsener Mann ein Teenager-Mädchen an der Hand und einen pubertierenden männlichen Jugendlichen am Ohr ins nächste Kino schleift, sich dann mit einem Riesen-Eimer Popcorn zwischen uns setzt und alle Versuche des Angebeteten, hinter seinem Rücken doch den Arm um sein geliebtes Töchterlein zu legen, durch tollwütiges Knurren abwendet.
Sollte ihm nicht klar sein, wie peinlich das wäre, so appellierte ich doch wenigstens an seine Faulheit: Immerhin müsste er einen ganzen Abend lang auf seine geliebten Fernsehserien verzichten!

Stattdessen holte der Feind zum Gegenschlag aus und bellte: „Alles klar, ich komme mit!“
Nun war ich an der Reihe: „WAAAAAAS?“

Das Zeitungsrascheln erstarb. Ein sonderbares Wesen mit Milchbart, Flanell-Pyjama und wild abstehenden hellbraunen Zauseln erschien. Die Matriarchin hatte ihre Tasse Kaffee zwischenzeitlich vollständig inhaliert und war ab jetzt bereit, die Befehlsgewalt zu übernehmen.
Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie abschätzig in die Runde, schob das Kinn vor und analysierte die Lage. Die Müslikrümel im Mundwinkel und die rosa Wölkchen auf dem Schlafgewand taten der authoritären Erscheinung keinen Abbruch.
Der Uniformierte saß in aufrechter Haltung am Tisch. Ein Rest Marmelade tropfte von seiner Brusttasche, doch er wagte nicht, diesen abzuwischen.
Ich blickte so unschuldig wie möglich drein und legte mir eine neue Strategie zurecht. Sollte ich als nächstes meine schulischen Leistungen hervorheben (lieber nicht…) oder doch besser einen Gutschein für lebenslanges Abwaschen ausstellen?
Die Spannung auf dem Schlachtfeld stieg.

Das zottelige Wesen wandte sich mir zu und knurrte: „Um Punkt 22 Uhr bist du wieder hier!“, schickte danach einen todbringenden Blick zu meinem Vater und WHUP, war die Wettervorhersage wieder alles, was wir sahen.
raschel, raschel, knurps, knurps
Dabei hatten die Temperaturen laut Prognose doch gar nicht so frostig werden sollen…

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

45 Kommentare zu “51 | Strategische Kriegsführung

  1. Das sind die magischen Momente im Leben.

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  2. seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr gut hahahahahaha. schön geschrieben… ich hab mich grad beeiert

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  3. Unser Wunschfilm war ausverkauft gewesen und der einzige noch offene Film war ab 16 – wir noch lange nicht. Weil ich aber älter aussah, habe ich es geschafft, unbemerkt vier Karten zu erwerben 😉

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  4. Großartig! !!! Mal sehen wie es bei uns abläuft, wenn das Elfenmädchen mit ihrem Vater in Verhandlungen tritt 😆

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  5. Woran Du Dich noch so erinnern kannst XD Die Übervorsicht von Töchtervätern kann ich bestätigen.

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  6. Schön, dat eine Mamma so lose, aber eben auch autoritär unterwegs war.
    Wenn ich so lese, wat Du so schreibst – ham`se beide gut gemacht.
    Dich 🙂

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  7. Du solltest in die Politik gehen 😉 perfekte Analyse der Ausgangslage….richtige Reaktion im passenden Moment …..verbunden mit perfekten Verhandlungstaktiken…..Ziel erreicht…..und das schon in dem Alter 😉

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  8. Nochmal 12 sein und die Blogs von heute lesen. Dann wäre das alles viel einfacher. Danke für die Lachtränen, einfach köstlich. Planst Du auch einen Bericht über den ersten Kuss? Ich kann es kaum erwarten…

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  9. Tollwütiges Knurren! Ich lache Tränen! Und Deine Mum ist die coolste Socke der Welt!

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  10. … sie hat ihn mit Marmeladenfleck zur Arbeit gehen lassen…

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  11. Deine Berichte sind köstlich. Danke für die Lachtränen. Ich kann mir das so bildlich vorstellen.

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  12. Ach ja, da auch ich ein Vater bin, aber natürlich es mir auch klar ist, dass meine achtzehnjährige eh tut, was sie will, hat folgende Taktik zum Erfolg geführt (zumindest aus meiner Sicht):
    “Hey cool, komm wir machen einen super BBQ Abend (nie “Grillabend“ sagen)
    Ist der Abend da, gebe ich mich ganz cool in meinem T-Shirt mit dem.Aufdruck
    “Ich habe eine hübsche Tochter
    Ich habe auch eine Waffe
    Und eine Schaufel
    Und ich habe ein Alibi“

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  13. Liebste Roe, ich genieße deine Geschichten sehr, aber du stellst da wirklich ein paar abenteuerliche Thesen auf 😉 Hinter jedem erfolgreichen Mann steht nämlich eine Frau, die mit den Augen rollt (Unterricht darin erteilt meine Gattin), Menschen wie meine Frau vor den ersten zwei Stunden des Tagesauf solche Themen anzusprechen setzt einen wenig funktionierenden Selbsterhaltungstrieb voraus und im Hause Bush war die Eiszeit längst angebrochen 😀 Ich wünsche dir ein feines Datingwochenende 😉

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  14. Ha ha ha! Wir sind ja inzwischen auf die Gegenseite gewechselt …
    Die psychologische Darstellung überzeugt mich trotzdem. Zur der Frau hinterm erfolgreichen Mann möchte ich jedoch ergänzen: Gerade heute vormittag dachte ich ausgiebig über Männer nach, bei denen man automatisch stark ist, weil man sich mit ihnen wohlfühlt, und wie gut das ist.

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