Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

65 | Wilma und Dino

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„Na, du Null!“
Ich blicke meinen besten Freund Andreas entsetzt an: „Bitte?!“ – „Na, es ist dein Geburtstag und du hast wieder genullt!“ Gehässig betont er das ‚wieder‘. Als würde ich das ständig machen!
Aber er hat recht: Ich habe mal wieder eine Null an meinem Lebensalter. Leider hinten und nicht vorne…

Was habe ich die letzten Jahrzehnte genossen, in denen ich über meine – zumeist älteren – Freunde gelästert habe. Vorbei die Zeit, in der ich Andreas anderen Menschen vorstellte mit: „Er ist zwei Jahrzehnte weiter als ich. Sein erstes Haustier war ein Dinosaurier! Aber nachdem der T-Rex die Oma gefressen hat, musste er wieder zurück ins Tierheim…“ Unvergessen auch die Momente, in denen ich ältere Kollegen mit Hustenanfällen fragte, ob es nun endlich mit ihnen zu Ende geht.
Ab jetzt gehöre ich auch zu ‚denen’…

‚Die‘ stehen gerade gemeinsam in meinem Wohnzimmer und kommentieren mit hämischem Grinsen das Festtagsbuffet, bestehend aus Donauwelle und Käffchen: „Roe, bist du dir sicher, dass du das noch beißen kannst? Sollen wir dir den Kuchen nicht zur Sicherheit pürieren und in der Schnabeltasse servieren?“ – „Denk dran Roey: Ab jetzt heißt es nicht mehr ‚Nach jedem Essen Zähneputzen‘, sondern ‚Nach jedem Essen eine Kukident lutschen!‘ Ich seufze. Ja, ich habe es verdient. Nach all den Jahren der Altersdiskriminierung rächt sich die Spitze der Bevölkerungspyramide nun an mir und treibt ihre Mätzchen.
Ich feuere zurück: „Sagt mal, ihr alten Säcke, wo habt ihr eigentlich euren Rentner-Camoflage gelassen?“ – „Rentner-Camoflage?“ – „Na ihr wisst schon: Gebrechliche Senioren hocken doch immer mit so einer karierten Decke über dem Schoß irgendwo rum. Natürlich leben wir in einer modernen, digitalisierten Welt, da solltet ihr euch schon in app-gesteuerte Heizdecken einwickeln. Aber ihr tragt ja nicht mal eure Strickwesten? Friert ihr denn nicht? Es hat doch höchstens 27°C hier drin…“ Bellendes Gelächer erfüllt den Raum.

Selbstverständlich gehören zu einer ordentlichen Geburtstagsfeier auch Gesellschaftsspiele. Was früher Topfschlagen war, ist heute das beliebte Spiel ‚Wer hat die meisten/absurdesten Wehwehchen‘. Ich erörtere mit leidender Stimme, dass mir schon seit geraumer Zeit der Rücken wehtut, meine Handgelenke hörbar knacken und ich sonderbare Knubbel am Bein bekommen habe… Andreas lutscht an seiner Kuchengabel und kommentiert in einem ‚früher-war-alles-besser‘-Ton: „Also, als ICH in deinem Alter war, hatte ich sowas ja noch nicht.“ Er schlabbert eine Kirsche vom Kuchenteller und fährt fort: „Wenn ich genau darüber nachdenke, habe ich diesen ganzen Kram auch heute noch nicht!“ Ich ziehe eine Schnute und jammere: „Schütte nur Salz in meine Wunden!“ – „Das brauche ich doch gar nicht, dir geht’s ja offenbar auch so schon schlecht genug.“ Ich werfe mit der Serviette nach ihm. Die übrigens nicht zu einem Schwan oder dergleichen gefaltet ist, es gibt also noch Hoffnung für mich…
Simone, die Älteste im Raum, grinst: „Ihr habt doch alle keine Ahnung, was Alter wirklich bedeutet: Wenn ich keinen Mittagsschlaf halte, nicke ich einfach weg, wo ich gerade stehe! Und mittlerweile habe ich das Gefühl, ich brauche den Mittagsschlaf dreimal am Tag!“ Thomas inhaliert seinen Kuchen und schmatzt: „So fing’s bei meiner Oma damals auch an. Sechs Monate später war sie tot!“ Die Anwesenden nicken raunend.

Boah, deprimierendes Volk! Und ich dachte, meine 85-jährige Nachbarin wäre durchgeknallt. Die hat nämlich einen neuen Schrank in der Küche, in dem sie ihre Einmachgläser verstaut. Nachdem ich dem neuen Möbelstück meine Anerkennung zollte, beugte sie sich vor und flüsterte: „Den kann ich dann später auch als Sarg verwenden!“

Im meinem Wohnzimmer stehend, das langsam an ein Seniorenheim erinnert, lenke ich derweil das Thema auf meine neue Brille. Die Geburtstagsgesellschaft wackelt näher an mich heran, kneift die Augen zusammen und kramt dann nach den eigenen Nasen-Fahrrädern, um meine neue Sehhilfe überhaupt erblicken zu können.
Ich erwähne beiläufig, dass ich schon wieder eine ganze Dioptrie an Sehkraft verloren habe. Andreas kommentiert gewohnt bissig: „Eine ganze Dioptrie in zwei Jahren? Kann es sein, dass dein Körper das mit Mengenrabatt verwechselt?“ Solch ein Satz von einem Mann, der mit Brille duschen muss, weil er sonst nicht mehr erkennen kann, was er da eigentlich schrubbt!

Frustriert suche ich nach dem Tortenheber. Süßer Zucker, du mein Trost…
Simone beobachtet mich und nuschelt krümelspuckend: „Weift du, waf daf Gute am Älterwerden ift?“ – „Was denn?“ Sie schluckt runter: „Wir können fressen wie die Schweine und verargumentieren unseren wachsenden Körperumfang einfach mit ‚Im Alter geht man eben auseinander‘.“ Sie nimmt sich ein viertes Stück Donauwelle und ballert mit ausladender Handbewegung Schlagsahne über den gesamten Teller.
Ich merke schon: Bei schwindender Jugend steigt gleichzeitig der Unterhaltungswert. Da könnt ihr euch ja auf was gefasst machen…

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

97 Kommentare zu “65 | Wilma und Dino

  1. Jau, jau, jau😂das passt, wackelt und hat Luft. So ist das Leben! Einfach wunderbar…..
    Donauwelle, saulecker! Wo ist mein Stück!??!?
    LG
    Sibylle, mit einer Lachträne im Auge…

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  2. Dieses Schwanzvergleich mit Krankenakten finde ich ja ganz furchtbar … Und ich bin noch skeptisch, ob das Alter als Ausrede fürs Kuchenessen … Naja. 😀

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    • Schwanzvergleich ist irgendwie was Menschliches. Gibt es ja auch bei Müttern und dem Thema „Wer hatte die krasseste Geburt“. Dagegen ist jeder Horrorfilm ein Meditationsvideo!
      Was den Kuchen angeht: Solang du nicht in meinem Alter bist, darfst du nicht darüber urteilen. Böh 😛

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      • Nicht zu vergessen „Mein Kind kann schon“ (und die im Buchhandel so „beliebten“ intelligenten Dreijährigen XD) und „ich schaffe X trotz Kind…“ Irgendwer will immer besser sein, aber keiner ist wirklich „gut“.

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  3. …die Donauwellen schwappten ordentliche aus den Lachdrüsen. Wenn ich damit beginne, meinen Bauch festzuhalten um diese Zwerchgeräusche abzupuffern, brauch nicht mal mehr eine Sahne zur Welle, dann ist das Leben auch so schön und alt werden tut weniger weh…
    Nullen hintendran statt vorne sind eine Herausforderung zur (weiteren) Vervollkommnung der Einzigartigkeit in aller Unschuld mit der narrischen Null.

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  4. Tzä, Donauwelle backen (oder backen lassen) und mich nicht einladen. Frechheit! Wobei mich ja mehr die Zahl vor der 0 interessiert XD (wobei ich mal davon ausgehe, es ist irgendwas zwischen 3 und 4 😉 ).

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  5. Also erstmal herzlichen Glückwunsch 😊😎brauchst du evtl noch eine Mumienschuppse?

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  6. Roe! Ich (t)adele Dich jetzt!
    Du bringst mich regelmäßig (Du tagsüber, Moser aus der Fischfabrik abends – brauche ich nur noch einen für die Nacht 😂😂😂) zum Ablachen sondersgleichen!
    Das geht ja gar nicht! 😁😂😁😂
    Mir tut schon alles weh!
    Wann kann ich das Buch zu diesen ganzen Storys kaufen? Zehnfach, gleich zum Verschenken.
    Nee – kopfschüttel – glucks – ich kann nicht mehr ….ich werde dieses Jahr FÜNFZIG! OH GOTT!!!
    (Auf geht’s – Sargnägel besorgen)
    😂😂😂😂😂😂😂

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    • Ich freue mich sehr über das Lob! Natürlich doppelt, weil du eine echte Autorin bist! 🙂
      Mal sehen, ob ich irgendwann ein Buch veröffentliche. Ich habe mit dem Gedanken gespielt!
      Zum Fünfzigsten empfehle ich dann pürierte Donauwelle mit völlig unpüriertem Eierlikör 😉

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      • Hä? Was bist DU denn, keine echte Autorin??? ;-)😠
        Oder macht man sich über mich lustisch?😉

        Donauwelle püriert? Oh mein Gott! Ich bleibe bei Eierlikör, nem fünffachen. Eine normale Pulle hat 2000 kcal. So kann isch oich fett werden. 😂😂😂😂

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        • „Echter Autor“ ist man erst, wenn man was veröffentlicht hat! Bloggen kann ja jeder 😀
          Manche Dinge sind die Kalorien einfach wert 😉

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          • Nu, sach ma, aber Deine Lyrik? Da ist doch was draußen, oder?

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            • Nö. Irgendwann vielleicht mal. Ich hab Angst, sobald es ums Geld geht (um’s zahlen, aber auch um’s bekommen), verflüchtigt sich meine Kreativität 😦

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              • Die Angst hatte ich auch und ja, man muss aufpassen. Das bekam ich kürzlich zu spüren und hatte sehr arg zu kämpfen (daraus entstanden tolle Arbeiten – sehr authentisch!). Ich kann Dir dazu mal in einer Mail etwas schreiben. Vielleicht beruhigt Dich das wiederum, denn inzwischen kann ich dafür gute Ratschläge geben.

                Roe – feierliche Stimmung – tara… (immer noch albern) 😂😂😂

                Ich sage es nicht oft: Du bist ein BESONDERES Talent – Deine Lyrik ist der Hammer (die Storys auch – mir fällt Prosa schwerer…) und es wäre schade, wenn Du nichts in Buchform veröffentlichst.
                Aber sicher weißt Du das längst?!

                Im Übrigen sehe ich das nicht ganz so, dass nur jene sich „Autor“ nennen dürfen, die Bücher schreiben.
                In dem Moment, in welchem man geistiges Eigentum veröffentlicht und für Interessierte/Leser bereitstellt, ist man Autor. Da Geschmäcker bekanntermaßen unterschiedlich sind, entscheidet der Empfänger, ob es ein guter oder nicht so guter Autor ist.
                Ebooks – elektronisch … sind das keine Auroren? 😉

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  7. Hehe, Glückwunsch und noch ein Törtchen rüberschieb 🍰

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  8. Die volle Dröhnung Spaß und natürlich allerherzlichsten Glückwunsch zum 30sten liebe Roe 😀

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  9. Na denn Roe, wie alt wirst Du denn?? erst einmal ganz herzlichen Glückwunsch und es kann nur mieser werden, meint Pünktchen udn die muss es wirklich wissen.Freust du dich schon auf die Rente? wenn isses denn so weit?
    LG pünktchen und Wortgestoeber

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  10. … sich mit dir das Alter um die Ohren schlagen ist besser als jede durchgemachte Nacht… Lachfalten sind so was von sympathisch… Alles liebe nachträglich, von jetzt an geht es nur noch in Richtung Unvernunft 😉

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  11. Da traut frau sich ja gar nicht zu gratulieren.
    Ach was soll’s:
    Herzlichen Glückwunsch. 😀
    Kuchengrüße aus dem Garten 🙂

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  12. Alles alles liebe auch von mir ❤ …hab mich herrlich amüsiert und kann mich ebenfalls noch gut an den _0.ten erinnern. Der war fürchterlich!!!! Ab jetzt gehts bergauf, ich sags Dir, und das, obwohl ich nur 5 Jährchen voraus bin 😉

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  13. Hah…im Alter ist Essen quasi eh der „neue“ Sex…von daher – tein mitte Donauwellen 😅

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  14. Ach wie herrlich! Herzlichen Glückwunsch nachträglich ♥♥♥ nachträglich und danke für diese tolle Geschichte. Hab‘ mich so amüsiert! Ein Glück, dass ich meine letzte 0 schon wieder 5 Jahre hinter mir habe – oder ist das Pech? Immerhin eile ich jetzt mit Riesenschritten auf die nächste 0 (hinten) zu und dann ist wirklich Schluss mit lustig. Von da an geht’s wahrscheinlich nur noch bergab aber bis dahin ……. ist noch lange und kann weiß Gott was passieren. Bis dahin lese ich wie’s anderen geht bei den Geburtstagen und meine letzten habe ich immer irgendwo gefeiert – nur nicht zu Hause! Schönes Wochenende! LG, Sigrid

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    • Dankeschön!
      Abwarten, ob es bergab geht. Es kommt immer anders, als man denkt 😉

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      • Wenn das mal nicht wahr ist. Da nimmt man sich immer dies und das vor, denkt, dass es bestimmt so oder so kommt und meistens ….. wie du schon sagst. Ich mach‘ mir grade gar keinen Kopf darüber. Alles andere habe ich bereits „geregelt“. So müssen sich auch andere keinen Kopf machen, falls es mal ganz blöd kommt. Na ja, jetzt freuen wir uns doch erst mal auf den nahenden Frühling, gell?

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        • Oh nein, sag mir nicht, du hast auch einen „Sargschrank“ 😀
          Der Frühling wird kommen. Bestimmt 😉

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          • Bleib mir bloß weg mit so was! Nein, ein Alu-Köfferchen und darin fein säuberlich von Patienten- bis Beerdigungsverfügung sowie Vorsorge- und Betreuungsvollmachten und natürlich ein Testament. Einfach alles, was wichtig sen könnte für Angehörige und Hinterbliebene. So kann ich mal getrost das Zeitliche segnen, ohne die Kinder in ein Chaos zu stürzen. In einen Sarg muss ich zwar auch mal 😦 bevor ich in die Urne darf, die dann im Wald „versenkt“ wird, aber darum müssen sich wohl oder übel die Erben kümmern.

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            • Klingt nach guter Vorbereitung. Die Urnenwälder finde ich übrigens toll 🙂
              Für diesen ganzen Kram halte ich mich noch für zu jung, obwohl es einen – via Unfall oder Krankheit – ja jederzeit treffen könnte… Man schiebt es noch von sich…

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              • Ja, ist so. War bei mir nicht anders, aber vor ein paar Jahren habe ich das alles in Angriff genommen, denn ich habe ja keine Eltern mehr, sondern ich bin diejenige, die vermutlich als nächstes dran ist. Da will ich meinen Söhnen alles so hinterlassen, dass sie nur noch das Köfferchen öffnen müssen …. und schon haben sie meine Wünsche und Vorstellungen parat.
                Und stimmt, schon ein Unfall kann alles verändern und dann sollten die „Liebsten“ Verfügungen für alle Fälle vorfinden. Dann gibt’s hoffentlich auch nicht so viele Missverständnisse oder womöglich Streit. Ein unangenehmes Thema, aber ich finde es gehört halt einfach dazu. Denk mal nur an Michael Schuhmacher. Da hat sicher niemand an Tod oder Krankheit gedacht – und jetzt? Und so geht’s vielen Familien, die plötzlich mit so einer Situation umgehen müssen. Da sind Vorsorge- oder Betreuungsvollmacht super wichtig. Die jungen Leute wollen halt nichts davon hören, obwohl sie so was genau so treffen könnte wie uns „Alte“ 🙂

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  15. Ich habe angefangen bestimmte Dinge zu sortieren und ja, auch ich habe ein köfferchen( Feuerfest) deponiert. Mit 70 sollte es wenigstens etwas sortiert sein .😀

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  16. Happy happy happy belated birthday, du Kueken;-) Werd erst mal so alt, wie ich mich gerade fuehle…..ich stimme uebrigens Sylvia zu, Du schreibst genial und im Grunde grinst man die ganze Zeit, wenn man Deine Texte liest. Hast du uebrigens mal Harold and Maude gesehen? So alt zu werden, waer was, oder? *KuchenmitSahnerueberschieb*

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    • Danke danke. Werd hier mit Glückwünschen UND Komplimenten überschüttet *beschämt unterm Teppich versteck*
      Ja, in der Tat. Ich habe den Film zum ersten Mal im Religionsunterricht (!) meiner Berufsschule (!) vorgeführt bekommen. Bei der „Sex-Szene“ (oh bitte… diese unschuldige Andeutung!) haben alle Jungs irritiert geguggt. Ich fand’s süß. Ja, Maude war eine Frau, die mit dem Leben umzugehen wusste 🙂

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      • Du hast alles verdient…..urspruenglich galt der Film ja auch als Antikriegs- Epos. Ich mochte an der Figur Maude, dass sie sich an keinerlei Konventionen hielt und das Leben so intensiver geniessen konnte.

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