Roe Rainrunner

Rainrunning at its finest

96 | Zwölf Jahre erste Hilfe, Seelsorge, Aggressionsbewältigungstherapeutin,…

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Im Januar diesen Jahres hatte ich ein zweifelhaftes Jubiläum zu verzeichnen:
Ich bin seit zwölf Jahren im Support tätig.
Was man in all den Jahren erlebt hat…

Die besonders aufregenden Fälle hatte ich im Bereich des Hardware-Supports für Privatanwender.
Platz Nummer 3 der verrücktesten Anfragen ging an den Herren, der bei mir anrief und mich informierte, dass das Netzteil seines Laptops so gar nicht ginge. Gut, sowas kommt vor, tauscht man das Netzteil eben aus. Ich rief den Kundendatensatz auf. Dann fragte ich, was genau nicht ginge: Wenn nur der Stecker drin war, ging der Laptop nicht an? Wenn Stecker und Akku drin waren, wurde der Akku nicht geladen? Was war denn genau das Problem? Die Antwort überraschte selbst einen erfahrenen Supporter wie mich sehr: „Das Netzteil sieht einfach nicht gut aus!!“ – „Öhm, hä?“ – „Der Teil, wo das Stromkabel in den Netzteilklotz geht?“ – „Ja?“ – „…da macht der Stecker so einen Winkel?“ – „Ja?“ – „…das ist hässlich!!“ Was zum Henker? Es ist ein Netzteil, ein Gebrauchsgegenstand. Noch dazu einer, den man im Optimalfall nicht einmal sehen kann, weil er hinterm Schreibtisch auf dem Boden oder gegebenenfalls sogar in einer Kabelführung liegt. Was soll ich nun bitte… „Und wie genau kann ich Ihnen hier weiterhelfen?“ Innerlich hoffte ich zu diesem Zeitpunkt noch, dass gleich die Fanfare irgendeiner Spaßsendung ertönen und man mir mitteilen würde, ich wäre in einer Radioshow hoppsgenommen worden. Doch… „Ich will, dass Sie mir ein schöneres Netzteil schicken!!“ Innerlich fasste ich mir an den Kopf, sogar mehrmals. Äußerlich musste ich Professionalität wahren. „Nun, zu diesem Laptop gehört dieses Netzteil. Ich könnte den Laptop – da Sie ihn erst kürzlich erworben und noch innerhalb der 14 Tage Rückgabefrist sind – retournieren. Im Anschluss bestellen Sie sich dann einen anderen Laptop.“ – „Ich will diesen Laptop aber behalten!“ Oh Mann. „Nun, dann könnte ich Ihnen noch anbieten, dass ich die Leistungsstärke des Netzteils prüfe und Ihnen ein anderes Netzteil mit gleichen Eigenschaften verkaufe. Der Preis läge etwa bei…“ – „Ich will aber kein neues Netzteil kaufen! Ich will, dass Sie dieses hier umtauschen!“ Lauter fügte er an: „Vielleicht sollte ich mal mit ihrer Design-Abteilung sprechen!!“
Nun, um’s kurz zu machen: nachdem der Kunde jeden einzelnen Mitarbeiter der „Design-Abteilung“ verflucht und ich ihm klargemacht hatte, dass mir keine anderen als diese zwei Optionen zur Verfügung standen, war der Herr so sauer über den Computerhersteller, dass er nicht länger Kunde bleiben wollte, weswegen er von mir zwecks Retour an die Kundendienst-Abteilung durchgestellt wurde. Also genau das, was ich eingangs vorgeschlagen hatte…

Platz Nummer 2 hat mit technischem oder menschlichen Versagen weniger zu tun. Nun ja, letzteres vielleicht bedingt…
Eine Dame rief an und begrüßte mich ohne Umschweife mit: „Was tun Sie eigentlich in Ihre Laptops rein?“ Tatsächlich kein ungewöhnlicher Satz. Bezog er sich meist auf Hardware-Bestandteile wie Festplatten oder Grafikkarten, insbesondere ihre – vom Kunden angezweifelte – Qualität. Meist waren solche Fragen daher nur rhetorisch und wurden gefolgt von Sätzen wie: „Ich hab jetzt schon zum x-ten Mal die Grafikkarte getauscht bekommen und das Display ist schon wieder schwarz. Das kann doch alles nicht sein?!“
Aber nicht an diesem Tag: „Ich habe die gesamte Nacht an dem Laptop gearbeitet und nun habe ich schweren Ausschlag am Handgelenk!“ Wow, der absolute Horror. Da wir nicht bei, sondern für die Computerfirma arbeiteten, sprich ein outgesourctes Callcenter waren, hatte ich keine Chance, tatsächlich eine Liste von Inhaltsstoffen des Materials der Laptops zu erhalten, um auf eventuell allergene Stoffe prüfen zu können. Ich befürchtete aber, selbst wenn der Boss der Firma persönlich neben mir gesessen hätte, hätte er mir nicht sagen können, was die chinesischen Zulieferer da so alles reinrührten. Und überhaupt: Der Ausschlag konnte ja auch durch eine Kreuzreaktion ausgelöst worden sein.
An diesem Gedanken festhaltend stellte ich – einfach um Zeit zu gewinnen – Fragen: Hatte sie etwas Untypisches gegessen, neue Kleidung getragen, ggf. ein anderes Waschmittel ausprobiert, vielleicht bisher nicht genutzte Kosmetika wie Duschgel oder Parfüm (wird ja auch gern am Handgelenk verteilt…) verwendet oder sonst irgendetwas gemacht, das sie üblicherweise nicht tat? Sie dachte angestrengt nach und meinte, sie hätte wegen einer Zahngeschichte zwei Wochen zuvor Antibiotika eingenommen. Aha! „Die Handgelenke jucken?“ – „Ja, genau!“ – „Breitet sich der Ausschlag aus? Prüfen Sie mal und ziehen Sie die Ärmel hoch!“ – „Ja, erschreckenderweise geht es weiter!“ – „Haben Sie das Gefühl, Fieber zu haben?“ – „Ja!“ – „Haben Sie insbesondere extrem heiße Ohren?“ – „Jaaa.“ – „Verspüren Sie innere Unruhe und Panik?“ – „Ja, absolut!“ – „Ich glaube, Sie haben eine Antibiotika-Allergie.“ – „Aber, ich hab das Zeug vor zwei Wochen…“ – „Ganz genau so läuft das da. Sie machen jetzt folgendes: Sie suchen einen Hautarzt in Ihrer Umgebung auf, beschreiben ihm das mit dem Laptop, sagen aber dazu auch, dass Sie Antibiotika genommen haben. Wenn er meine Diagnose bestätigt und das sagt, was ein Arzt dann üblicherweise so sagt, nämlich dass man da nichts machen kann und jetzt einfach warten muss, bis es weggeht, gehen Sie in die Apotheke und kaufen eine große Packung Creme gegen Juckreiz. Damit reiben Sie die Handgelenke ein – nur die Handgelenke, wo es zuerst ausgebrochen ist, das reicht.“ – „Äh, sind Sie sich…“ – „Ganz sicher! Abmarsch!“
In meinem Kopf trällerte eine Stimme: ‚Computer-Notfall-Support, atmen Sie noch, oder sind Sie schon tot…‘

Wieder eine unterhaltsame Anekdote für die Raucher-Ecke. Die jüngeren Kollegen blickten mich mit diesem bestimmten ‚Verbrennt die Hexe!‘-Blick an. Die Älteren hatten jedoch damals live miterleben müssen, wie ich nach der Einahme von Breitspektrum-Antibiotika einen Röteln-ähnlichen Ausschlag am ganzen Körper bekam – und das mitten im Großraumbüro mit 50 Mitarbeitern. Da war was los! Wie erleichtert wir alle waren, dass es sich nur um eine Allergie handelte und wir keine Quarantäne-Station aufbauen mussten (unser Chef hätte bestimmt gesagt „Macht das doch hier, dann können die weiterarbeiten...„).

Der unangefochtene Platz 1 geht an der Kunden, bei dem ich die versteckten Kameras wirklich hysterisch im ganzen Raum gesucht habe:
Ein Herr ruft mich an und teilt mir mit, das der Laptop vermelde, Partition C sei voll.
Nun, das ist eigentlich kein Hardware-Problem im eigentlichen Sinne, da kein Defekt: Festplatten werden in Partitionen mit einer bestimmten Speichergröße unterteilt. Je nach Größe kann so eine Partition auch mal volllaufen. Dann kann man zum Beispiel die Partitionen anders organisieren, sodass die Überfüllte mehr Speicherplatz erhält. Hat die Festplatte lediglich eine Partition, bleibt nur das Löschen von unnötigen Daten oder der Kauf einer neuen, größeren Festplatte.
Der normale Anwender ist verständlicherweise erstmal verstört, wenn systemseitig so eine Meldung aufploppt. Nun hatte sich der Anrufer aber dummerweise mit „IT-Shop trallala“ gemeldet und eigentlich sollte ein IT-Shop-Mitarbeiter in der Lage sein, die Situation korrekt einschätzen zu können. Wenn man jedoch eine Zeitlang – so etwa zwei bis drei Monate – in einer Hardware-Hotline gearbeitet hat, wundert einen gar nichts mehr. Um mir ein Bild zu machen – und den Kunden ggf. an die (kostenpflichtige) Software-Hotline weiterleiten zu können – erfragte ich die Seriennummer des Gerätes. „Wo ist die denn?“ Auch das keine unübliche Frage. In der Warteschleife erfolgte durchgängig die Ansage: „Bitte beachten Sie, dass wir ohne die Seriennummer Ihre Anfrage nicht beantworten können. Wenn Sie wissen möchten, wo Sie die Seriennummer finden können, betätigen Sie bitte die ‚8‘“. Faktisch machte das aber kein Kunde. Ich vermute, dass sie Angst hatten, danach wieder ganz ans Ende der Warteschlange zu rutschen. In der Tat hätte man den Ansagentext einfach so ändern können, dass der Kunde nicht die ‚8‘ drückt, sondern es einfach direkt erzählt bekommt. 20 bis durchschnittlich 45 Minuten Wartezeit hätten locker ausgereicht, dem Kunden das so etwa drei bis vierhundert Mal ausführlich zu erläutern.
Ich erklärte dem IT-Shop-Mitarbeiter also, dass sich die Seriennummer auf der Unterseite seines Laptops befände und aus einer Kombination von Buchstaben und Zahlen besteht. „Ist das eine Nummer, die speziell von Ihrer Computerfirma vergeben wird?“ – „Ja, das ist sie.“ – „Achso, dann hat das Gerät das nicht.“ – „Entschuldigung? – „Nunja, es ist kein Laptop Ihrer Computerfirma!“ Und hier ging mein RaumaufKameras-Abscannen los. Doch ich fand keine. Soviele Flüche kann man gar nicht ausschreiben, wie ich in diesem Moment im Kopf hatte. Leute, ich war wirklich einiges gewohnt, aber das?!
„Okay, nur dass ich Sie richtig verstehe: Sie sind ein IT-Shop, der sich mit Computern befasst. Sie haben eigentlich kein Hardware- sondern genaugenommen ein System- und damit ein Software-Problem. Sie rufen daraufhin die Hotline irgendeines Computerherstelles an, obwohl das Gerät gar nicht von diesem kommt?!“ Aus dem Telefon erklang weinerlich die Antwort: „Ich dachte, wir könnten ins Geschäft kommen?!“ – „Wir können absolut ins Geschäft kommen! Sie kaufen hier und jetzt direkt am Telefon bei mir einen Laptop unseres Herstellers. Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen eine so große Festplatte für das Gerät konfiguriere, dass Sie nie wieder auf den Fehler laufen werden!“ – „Ich will aber keinen neuen Laptop kaufen! Ich will…“ Sorry, aber das konnte doch nicht ernstgemeint sein.
Ich war von IT-Shop-Mitarbeitern, sowie sonstigen selbsternannten PC-Experten ja so einiges gewohnt. Aber das?!

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich einen ComputerladenMitarbeiter am Telefon hatte, der mir erklärte, die Festplatte sei kaputt. Ich teilte ihm mit, dass ich das verifizieren müsse, indem wir den internen Hardware-Diagnose-Modus laufen lassen, der – sofern die Festplatte tatsächlich kaputt wäre – meist innerhalb weniger Minuten einen vierstelligen Fehlercode ausspuckt. Der Herr diskutierte sofort lautstark los, dass er Ahnung von seinem Job hätte, er wäre schließlich ein Profi (oh ja, frag doch mal den Kollegen mit der vollgelaufenen Partition…) und ich nicht und überhaupt. Ich teilte ihm ruhig mit, dass ich ihm natürlich glauben würde („And the Oscar goes to…“), es jedoch Vorschrift wäre, den Fehlercode im Auftrag der neuen Festplatte zu vermerken und ich ohne diesen Code den Auftrag gar nicht durchbekäme, ergo er auch keine neue Festplatte erhielte. Er diskutierte und brüllte noch lauter weiter.
Das Ironische: Die Diskussion und sein Unverständnis über Vorschriften, die ich nicht gemacht hatte, dauerten länger, als es gedauert hätte, einfach diesen Test auszuführen.
Selbst, wenn er nicht angefangen hätte, beleidigend und ausfallend zu werden (was ein NoGo ist und den Abbruch eines Telefonats rechtfertigt): Es gab feste Zeitspannen, in der Anfragen bearbeitet werden mussten; dazu gehörte, dass der Kunde mitarbeitete. Dieses Individuum wollte sich jedoch gar nicht helfen lassen und sorgte mit seiner uneinsichtigen Zeterei dafür, dass alle Kunden, die nach ihm dran waren, sich weiter in der Warteschleife aufstauten. Also tat ich, was man unter objektiv-wirtschaftlichem Gesichtspunkt in diesem Moment so macht: Ich habe aufgelegt.

Die Geschichte könnte an dieser Stelle zu Ende sein. Dass er nocheinmal anrufen würde, hielt ich nicht für wahrscheinlich. Selbst wenn: bei 50 Mitarbeitern käme er nicht wieder bei mir raus. Und ja, natürlich hätte ihn dann ein anderer Mitarbeiter an der Backe. Aber das Geschrei, das sich dann über den Kollegen ergießen würde, machte bei der üblichen Gesprächslautstärke“ unserer Kunden in Höhe von rund 100 Dezibel auch keinen Unterschied...

Einige Zeit und gefühlte 300 Kunden später – ich hatte den Brüll-Hannes vom Computerladen längst verdrängt, da ich inzwischen mit neuen Beleidigungen belegt worden war – begrüßte ich den nächsten Anrufer am Telefon, als… „SIE!?!?“ Tja, ihr habt es schon geahnt, oder? Yep, es war dieser Computerladen-Mitarbeiter. Ich schaute auf die Uhr: ca. 45 Minuten waren seit seinem ersten Anruf vergangen, das entsprach genau der durchschnittlichen Wartezeit an diesem Tag. Er hatte es tatsächlich geschafft, unter 50 Mitarbeitern nochmal genau bei mir zu landen. In diesen 45 Minuten, in denen er den immerselben Warteschleifen-Mist gehört hatte, hätte er den Hardware-Test – sofern dieser nicht direkt auf einen Fehler gelaufen wäre – bis zu fünf Mal vollständig durchlaufen lassen können.
Bevor der Mann zum Wutanfall Luft holen konnte, schnitt ich ihm das Wort ab: „Haben Sie den Test zwischenzeitlich ausgeführt?“ – „NEIN, HAB ICH NIC…“ Ich legte wieder auf.
Wie oft hat man – also Kunde – mir klargemacht, ich wäre nur irgendein kleines nutzloses Callgirl auf der anderen Seite irgendeiner Scheiß-Technik-Hotline? Offenbar unterschätzen die Kunden die Macht der Unhöflichkeit maßlos…

Das größte Problem der Support-Abteilungen scheint zu sein, dass irgendwo irgendjemand mit eingebauter Glaskugel vorhersagt, wie der Support denn so laufen wird, ohne dass es irgendwer – geschweige die Person selbst – jemals real ausprobiert hat. Ich stelle mir vor, wie er da sitzt und sich denkt: „Mhh. Also, der Kunde ruft an, nennt seinen Namen, sagt um welches Produkt es geht, händigt die Seriennummer aus und dann kann der Supporter die Anfrage analysieren und beantworten. Eigentlich ganz einfach, ich denke, da reichen im Schnitt… mh (überlegt), acht Minuten.“
Ganz so einfach ist es natürlich nicht, da die lebenden Glaskugeln ihrerseits Druck vom Hersteller bekommen, der wiederum der Meinung ist, das müsse noch bedeutend schneller gehen. Es wird um jede Minute hart gekämpft und am Ende einigt man sich auf eine Zahl, die vermutlich niemanden optimal zufriedenstellt…

Acht Minuten waren tatsächlich die durchschnittliche Zeitspanne, die wir für die Bearbeitung einer Anfrage des ersten Software-Herstellers, für den ich im Callcenter gearbeitet habe, veranschlagen durften. Nennen wir ihn aus Datenschutzgründen „Kaviba„. Man spricht es übrigens „Ka-vei-ba“ und nicht „Ka-vi-bäh“ oder gar „Kabiber“ aus, wie so mancher Kunde das gerne tat.
Wie also lief das in der Realität wirklich ab? „Willkommen beim Kaviba Technischen Kundendienst, was kann ich für Sie…“ – „MEIN KAVIBÄH GEHT NICHT!“ – „Guten Tag. Nennen Sie mir bitte Ihren Namen“ – „Ricnieviec Kjaruvarez. Er buchstabiert es mir. Vier_ geschlagene_Male! „Um welches Produkt…“ – „MEIN KAVIBÄH GEHT NICHT!“ – „Herr Kjaruvarez, um welches Ka-vei-ba-Produkt geht es denn?“ – „Na, Kavibäh!?“ – „Das ist der Name des Herstellers...In mir stirbt ein kleines Stück. Mal wieder…
Eigentlich musste ich diese Frage stellen und auch zwingend eine Antwort erhalten, da einige kostenlose Produkte des Software-Herstellers (wie in der Branche üblich) vom Support ausgeschlossen sind. Es gibt aber in der Regel einen FAQ-Bereich (sprich: „FuckBereich„) auf der Website und im Optimalfall ein Supportforum, in dem die Kunden sich Selbsthilfegruppenmäßig gegenseitig supporten können.
Ich kürzte aus Verzweiflung trotzdem ab: „Geben Sie mir bitte einmal die Seriennummer.“ – „Die was?“ – „Die Seriennummer! Sie finden diese im Programm oder auf der Rückseite der Installationspackung.“ – „ELFRIEDÄÄÄH! WO IS’N DIE PRODUKTSCHACHTEL ABJEBLIEBEN?“ – „DIE WAAAT?“ – „DIE PRODUKTSCHACHTEL VOM KAVIBÄH??“ Ich blicke auf die Uhr: Herrlich, bereits vier von acht Minuten vergangen und ich weiß noch nicht einmal, um welches Produkt es eigentlich geht.

Was passiert denn, wenn die durchschnittliche Bearbeitungszeit nicht eingehalten wird, werden sich jetzt einige fragen? Nun, dann verringert sich die Provision. Im damaligen Erdzeitalter gab es für den Callcenter-Agent 1.200 EUR Brutto-Monats-Grundgehalt (Ja, brutto, ich hab mich nicht verschrieben. Nein, ich weiß, was „brutto“ bedeutet, das is vor Abzug) + 350 EUR Provision (auch brutto). Die tatsächliche Provisionshöhe hing davon ab, ob man Krankentage gehabt hatte, ob die Anrufe innerhalb der vorgeschriebenen Zeit angenommen worden waren, ob man die durchschnittliche Bearbeitungszeit eingehalten hatte und dann noch ein Mix aus den Zahlen des gesamten Teams (ein Chef sagte mal „Wenn eure Kollegen ständig krank sind, erhaltet auch ihr eure Provision nicht. Ihr solltet die Kollegen dann dazu anhalten, nicht mehr krank zu werden...“ Im Film „Eine Frage der Ehre“ haben wir gelernt, dass der Fachbegriff für solche Aktionen „Code Red“ lautet…).
Im Hardware-Support war es sogar noch gruseliger, da man eine bestimmte Prozentzahl von Kunden an die kostenpflichtige Software-Support-Hotline weiterleiten musste (und was, wenn nicht genügend Leute mit Software-Problemen anriefen?!), man eine bestimmte Anzahl von Hardware-Problemen direkt am Telefon lösen musste (was bedeutend schwieriger wurde, nachdem bei Laptops keine CD-/DVD-Laufwerke mehr verbaut, sondern sogenannte „Slot-Ins“ modern wurden, die man nicht mehr einfach so rausschrauben konnte), des Weiteren sollte man täglich für knapp 200 EUR Verkäufe tätigen (jaha, da ruft einer an und brüllt rum, dass sein Produkt defekt ist und du darfst ihm noch ein weiteres Produkt verkaufen. Selbst wenn du das tatsächlich schaffen solltest: Der Computerhersteller kam aus einem anderen Land und deren bevorzugtes Bezahlsystem kannte nur Kreditkarten, die damals in Deutschland kaum einer besaß..). Mit anderen Worten: Du musstest so viele Punkte erfüllen – die sich teilweise sogar gegenseitig ausschlossen – dass du deine Provision sowieso niemals in voller Höhe erhalten hast. Nicht selten habe ich trotz neun Stunden täglicher Arbeitszeit (meist ohne Mittagspause) nur ein Monatsgehalt von 980 EUR netto beziehen können. Seither mag ich den Begriff „Verdienst“ nicht mehr. Denn was man verdient, ist in der Regel viel höher als das, was man bekommt…

Tatsächlich habe ich nach zwei Jahren im Callcenter (die mich ca. 20 Jahre altern ließen) nur noch Support beim Hersteller direkt gemacht. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber auch dort lief natürlich nicht alles rosig ab...

Warum also erzählt die verrückte Frau jetzt wieder Geschichten vom (Kalten) Krieg?
Nun, so wie es aussieht, werde ich diesem Sommer meine Support-Tätigkeit nach über zwölf Jahren niederlegen und mich anderen Aufgaben widmen.
Was das genau sein wird, verrate ich noch nicht... 😉 

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

58 Kommentare zu “96 | Zwölf Jahre erste Hilfe, Seelsorge, Aggressionsbewältigungstherapeutin,…

  1. Ich hoffe ein guter Tausch.
    Viel Erfolg!

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  2. Du machst es aber soooooooooo spannend….so oder so klasse Entscheidung !

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  3. Schlechter kann es ja kaum noch kommen. Also dann Kurs voraus ab Sommer. Lieben Gruß

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  4. … Callcenter sind die Wortmüllhalde der Industrie… danke für nicht mehr ludtig❣️🌺

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  5. 12 years a slave 😀 Ich schütte mich aus vor lachen!!! Sorry …

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  6. …ich bin auch schon seit 11 Jahren in „dem Laden“, aber zum Glück an unterschiedlichen Positionen bisher…gerade die ersten Jahre würden auch für’n Buch reichen 😅 ich wünsche viel Erfolg beim Kurswechsel!

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  7. Das war aber ein sehr langer (aber immerhin unterhaltsamer) Trailer vor der eigentlich wichtigen Aussage am Ende. 😀

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