Roe Rainrunner

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115 | Satanische Messen und andere Geselligkeiten

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Firmen lieben ja das gesellige Beisammensein.
Nein, es reicht nicht aus, einmal alle zwei Jahre für vier Tage in eine einsame Hütte im Schwarzwald zu fahren, was sowieso schon eher immer wie der Plot eines Horrorfilmes klingt, als nach einer netten Zusammenkunft. Wichtig ist, dass man sich firmenintern alle zwei Monate zu zwanglosen Präsenzterminen verabredet, um auch wirklich nicht zu vergessen, dass Kollege Ruppert stets etwas zu laut lacht und Kollegin Linda unter extremem Mundgeruch leidet. Genaugenommen leiden alle anderen, ihr selbst scheint es damit hervorragend zu gehen.

Erst im August war der gesamte Bereich für zwei Tage an der Mecklenburgischen Seenplatte gewesen und durfte sich von sinnlosen Worthülsen und Allgemeinplätzchen umwabern lassen.
Immerhin hatte es gutes und ausreichendes Essen gegeben, was bisher auch nicht auf jeder Veranstaltung gegeben war, weswegen ich auf meiner Dienstreisen-Packliste mittlerweile immer Panzerplatten verzeichne, die berühmten Hartkekse der Bundeswehr. Ob die Olivgrünen in den kriegstüchtigen Ernstfall oder die Bürohengste in die supermarktlose Pampas Mecklenburgs geraten, man ist vorbereitet!

Die mecklenburgische Seenplatten-Landschaft ist ohne Frage pittoresk. Besonders, wenn man in einem dunklen Veranstaltungssaal hockt und durch ein kleines Fenster auf ebenjene hinausblickt. Ein sehr realitätsnahes Gemälde, inklusive sich bewegender Wasservögel. Wir alle wären wohl lieber im See baden gegangen, als uns hier den 15. Vortrag über unsere geheuchelten Unternehmenswerte anhören zu dürfen. „Und WLAN hat’s in diesem Bunker auch nicht“, flüsterte der Lieblingskollege entsetzt, während er versucht, auf seinem Smartphone „Township“ zu starten, um mit dem Füttern der Kühe im Spiel wenigstens irgendetwas Produktives getan zu haben.
Nach der Veranstaltung resümierte auch unser motiviertester Kollege, nicht auf so einer sinnbefreiten Veranstaltung gewesen zu sein, seit er 1979 in dieser Firma als Azubi angefangen hat.

Im selben Monat hatte auch noch eine Abteilungs- und eine Teamveranstaltung stattgefunden.
Nein, man kann das nicht synchronisieren oder wenigstens in unterschiedliche Monate legen, um sich danach kurz von den Strapazen erholen zu können. Es muss unbedingt nacheinander stattfinden.
Meine Theorie ist ja, dass dieses Vorgehen das kapitalistische Pendant zum Waterboarding ist, um Mitarbeitende so mürbe zu machen, dass sie nicht in Meutereien aufbegehren. Oder gar auf die Idee kommen, einen Betriebsrat zu gründen!

Nun war die Zwei-Monats-Frist im Oktober also wieder abgelaufen.
Das Grauen kündigt sich in einer harmlosen Einladungs-E-Mail mit dem zwingend anglizistischen Titel „Get together (05.10.23, 14:00-18:00 Uhr)“ an, die den Lieblingskollegen erreicht. „Was ist denn das wieder für eine Grütze?!“, schimpft Anderson am Telefon. „Worum geht’s denn überhaupt?“, frage ich, während ich versuche, mich aus dem Headset-Kabel auszuwickeln. „Hastes noch nicht gelesen? Die wollen wahrscheinlich ein Follow-up zum Follow-up zum Brainstorming unserer tollen neuen Unternehmenswerte machen. Es geht vermutlich darum, wie man Fachkräfte anziehen und sich zum Wunscharbeitgeber etablieren kann.“ Ich prüfe mein Mail-Postfach und sage dann trocken: „Ich fürchte, mein ‚Wunscharbeitgeber‘ hat mal wieder vergessen, mir eine Einladung zukommen zu lassen…“

Das Tolle an den Einladungen des Oberbosses ist, dass es grundsätzlich keine Informationen zu Programm oder Inhalt gibt. Ebenso ist die angegebene Uhrzeit eher ein Richtwert als ein tatsächlich ernstzunehmender Zeitpunkt. Immerhin das Datum stimmt. Also meistens…
Du sollst auf diese Einladung dann schonmal verbindlich zu- oder absagen (als ob letzteres wirklich eine Option wäre…), hast aber noch keine Ahnung, worum es eigentlich geht. Es könnte sich auch um eine satanische Messe mit anschließender Opferung deines Erstgeborenen handeln, zu deren Teilnahme du dich da versehentlich verpflichtest.

Anderson leitet mir die Einladungs-E-Mail erstmal weiter. Ich protestiere lautstark, immerhin habe ich offiziell überhaupt keine Kenntnis von der Veranstaltung und damit die allerbeste Entschuldigung, fernzubleiben! Anderson kommt mir mit „Wir sind ein Team, nur gemeinsam stehen wir das durch“-Motivationsreden, aber auch meine Gegendrohung, bei der nächsten Geburtstagsfeier seine Kuchenportion mit wegzufressen, schüchtert ihn kein bisschen ein.

Als nächstes öffnet sich ein Fenster im Firmenchat, dem das gesamte Team hinzugefügt wurde.
„Und?“, fragt Ruppert. „Thomas tippt…“ steht unten. Anderson kommt ihm zuvor: „Ich setze 20 EUR auf 16:00-20:00 Uhr“ – „Was, niemals!“, schreibt Bertholt. „Das trauen die sich nicht, viel zu spät.“ – „Quatsch nicht. Beim letzten Mal hieß es ’19:00 Uhr‘ und der Mist ging bis 22:00 Uhr!“
Es hat also begonnen: Unser Büro nimmt Wetten entgegen, wann das Event tatsächlich stattfinden wird. Da sag noch einer, man könne in dem Job kein gutes Geld verdienen!

Eine Woche vorher wird die Einladung aktualisiert: Im Ortsangabefeld wurden die Koordinaten „B87-003-12.47/48“ eingefügt, die einige unserer rätsel- und escapegame-freudigen Kollegen erfolgreich als Meetingraum im dritten Stock des Nachbargebäudes entschüsseln können.

Bereits am Abend des 04.10. folgt dann die Agenda zum Stichtag. Und eine erneute Änderung der Uhrzeitangabe… Andreas, der mit seiner Angabe der Ziel-Uhrzeit am nächsten liegt, fordert nun im Firmenchat seinen Gewinn. Anderson schreibt: „Nix da! Erstens könnten die bis morgen mittag den Termin nochmal aktualisieren und zweitens weiß noch keiner von uns, wann wir da wirklich wieder rauskommen. Auszahlung nach Ausführung! Sollten potentielle Wettgewinner bis zum Auszahlungszeitpunkt versehentlich versterben oder sich aufgrund einer beim After-Work zugezogenen Alkoholvergiftung im Krankenhaus befinden, ist die Auszahlung des Wettgewinns hinfällig!“ Tja, so steht’s in den offiziellen Team-Wettregeln im Dokument auf dem Sharepoint, da kann man nix machen.

Und wie war die Veranstaltung?
Ein Laberbeitrag reihte sich an den anderen. Stellenweise verschwommen die Redenden und mir war irgendwann nicht mehr klar, ob ich mich noch auf einer Firmenveranstaltung oder doch schon einer Pressekonferenz befand, gleichte sich die Wortwahl doch deutlich.
Um den Quartalserfolg begießen zu können, wurde bereits früh Sekt ausgeschenkt, der von dem ein oder anderen doch etwas zu hektisch hinabgestürzt wurde…
Am Ende fragte der Oberboss nach Feedback zur Veranstaltung und natürlich fanden es alle ganz, ganz wunderbar! Ob das der Sekt war, der da sprach oder man sich doch nur an die bald stattfindenden Gehaltsgespräche erinnerte, vermag im Nachgang nicht mehr so genau festgestellt zu werden…

Nächste Firmenveranstaltung? Weihnachtsfeier am 30.11.(!) mit Schrottwichteln. Ich wollte den Keller ja sowieso mal dringend wieder aufräumen…
Schade finde ich nur, dass wir anonymes Wichteln mit Verlosung machen und keine persönlichen Wichtelpartner bekommen. Ich hab da nämlich ein brandgefährliches Bügeleisen herumliegen, das ein tolles Geschenk für alle Kollegen gewesen wäre, die ich nicht leiden kann…

Autor: roerainrunner

https://roerainrunner.wordpress.com

12 Kommentare zu “115 | Satanische Messen und andere Geselligkeiten

  1. Da bist du ja wieder, fein, dich zu lesen! Mit jahreszeitlichem Thema, wir haben uns alle lieb undsoweiter. Kneife ich mir, meinem Rufe gerecht werdend verzichte ich auf den Bahnhofshallencharme einer Bowlingbahn, Geräuschkulisse eines Flughafens inbegriffen.

    Anonymisiertes Schrottwichteln hat etwas Schicksalhaftes, möge es den Rechten treffen.
    Grüße & Freude am Freudlosen, Reiner

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    • Klingt ja fast dystopisch 😉
      Immerhin werden wir beim Wichteln unseren Müll los. Einer meinte schon „Können wir das Zeug mitbringen, das wir letztes Jahr geschenkt bekommen haben?“ Es ist für jeden was dabei. Schrottwichtelstafette…

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  2. Die Get-together Seuche greift also um sich! Wenn sie nicht so sinnbefreit und Lebenszeit-verschwendend wäre, könnte man ja über sie lachen 😉. Großartiger Artikel, trifft den Nagel auf den Kopf 👍🏻

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    • Eine Leidensgenossin, komm in meine Arme 😀
      Es geht auf die Weihnachtszeit zu. Ich erwarte eine Weihnachtsfeier pro Team, Abteilung, Bereich und dann noch eine Firmenfeier. Wenn jede Schrottwichteln machen würde, könnte man sich den Gang zur Sperrmüllhalde sparen – nur leider schenken die einem ja auch immer ihr Zeuch! 😀

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  3. Ah das klingt nach einem echtem New-Work-Life-Crash statt Balance. Das gute alte „EPA-Pack“, die Einmannmarschverpflegung manövermüder Bundeswehrgefreiter kennst Du also auch. Meine große Jugendliebe brachte uns diese Kekse mit. Mam und ich waren neugierig und futterten gleich jede so eine Panzerplatte. Danach waren wir eine Woche lang verstopft und hatten tagelang weder Appetit noch Hunger.
    Hast Du zufällig noch eine Kaminkerze? Das ist einer der berühmtesten Wichtel der Welt. Auf den Schwarzwald lasse ich nix kommen. Der ist wunderschön, schwarz manchmal in Tälern auch, aber überwiegend eher grün. Liebste Grüße von Amélie 🍂🫶

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    • Der von dir erwähnte Effekt ist bei Panzerplatten berühmt-berüchtigt. Jemand hat mir mal eindrücklich beschrieben, dass sich der anschließende Toilettengang wie eine Geburt anfühlt. Das Trauma dieser Erzählung bin ich noch am Verarbeiten 😀
      Eine Kaminkerze? Ich hab’s gegoogelt, sieht schön aus!
      Du, ich kann nahezu allen Gegenden Deutschlands etwas Wunderschönes abgewinnen. Aber sobald die verrückte Kollegschaft um einen herumhüpft und man gezwungen wird, Vorträge vom mittleren und höheren Management zu verfolgen, die vollkommen Stulle sind (ja, Management und Vorträge!), ist auch die wundervollste Landschaft komplett versaut 😀
      Liebe Grüße und einen wunderbaren Sonntag!

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  4. Das nächste Mal nimmst Du den Sony-Walkman mit zum kollegialen Wipfelschwingen und hörst „Hohe Tannen“ von Fräulein Menke zu den Vorträgen. 🙂

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  5. Unsere Betriebsweihnachtsfeier ist Freitag vorm ersten Advent. In der Innenstadt.

    Zeitgleich ist, wie jedes Jahr 16:00Uhr oder so Eröffnung vom Weihnachtsmarkt.
    Und nein, die Feier ist nicht auf dem Weihnachtsmarkt.

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